Impuls für bekennende Gemeinschaften 2020
Im Januar 2016 hielten wir es für nötig, das Netzwerk Bibel und Bekenntnis zu gründen. Nach vier Jahren fragen wir uns: Wo stehen wir heute? Und wo gehen wir hin? Sind Klärungen erreicht oder in Sicht? Im Netzwerk Bibel und Bekenntnis stellen sich uns zwei Aufgaben: Die Stimme gegen falsche Lehre zu erheben und Christen durch biblische Lehre für die Auseinandersetzungen zu stärken. Örtliche und regionale Initiativen, die sich miteinander in unserem Netzwerk verbunden haben, widmen sich jeweils auf ihre Weise diesen Aufgaben. Wir haben Prof. Dr. Rolf Hille gebeten, einen wegweisenden Impuls für bekennende Gemeinschaften zu schreiben. Wir empfehlen diesen Text Ihrer aufmerksamen Lektüre.
Ulrich Parzany
Impuls für bekennende Gemeinschaften 2020
1. Auf der Suche nach der richtigen Spur
Viele Christen sind verwirrt durch widersprüchliche und unbiblische Spuren, die
nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Theologie und Kirche gelegt
werden. Man hat den Eindruck, dass die Gleise, die befahren werden, zwar
zunächst parallel zu verlaufen scheinen, dann aber doch in völlig verschiedene
Richtungen gehen.
In einer Situation der Desorientierung sehen die bekennenden Gemeinschaften ihren Auftrag darin, von der Bibel und den Bekenntnissen her die Spur der verlässlichen Wahrheit des Glaubens aufzuzeigen.
2. In der Spur des Zeitgeistes
Viele fragen besorgt, wie es zu einer solchen Irritation in Theologie und
Kirche kommen konnte, dass man im Stimmengewirr menschlicher Meinungen die
maßgebende Stimme des guten Hirten nur noch schwer heraushören kann.
Die Ursprünge reichen bis weit ins 18. Jahrhundert zurück. Damals wurde das sogenannte „Projekt Moderne“ angestoßen. Der Vorwurf war, die Bibel und der christliche Glaube könnten nicht länger als Grundlage der Wahrheit dienen, da ganz unterschiedliche religiöse, philosophische und ideologische Weltanschauungen miteinander konkurrieren. Nur die menschliche Vernunft, so glaubte man, sei universal und könne zu verlässlichen und wissenschaftlich begründeten Überzeugungen führen.
Diese denkerischen Voraussetzungen der europäischen Aufklärung wurden befremdlicherweise sehr rasch auch von evangelischen Theologen und den protestantischen Kirchen übernommen. Damit wurde die Historizität der biblischen Heilsgeschichte bestritten. Die These lautete: Wunder gibt es für Rationalisten nicht und die Jungfrauengeburt, die leibhaftige Auferstehung und die Himmelfahrt Jesu wurden als Legenden abgetan. Die Hoffnung auf eine Wiederkunft verschwand hinter dem Horizont. Die Lehre auf den Kathedern der Universitäten und die Verkündigung auf den Kanzeln bewegte sich zunehmend „neben der Spur“ der Schrift. Übrig blieb ein rein symbolisches und existentialistisches Verständnis des Glaubens.
Im 20. Jahrhundert löste dann die Postmoderne die Moderne ab. Auch die Vernunft liefert von nun an keine soliden und universalen Wahrheiten mehr. Es gibt nur noch subjektive Meinungen von einzelnen Gruppen oder Individuen. Du hast deine Wahrheit und ich meine. Wir wollen uns nicht darüber streiten, wer Recht hat, sondern wir tolerieren und respektieren einander. Das genügt. Die Theologie löst sich in Spiritualität und mystische Erlebnisse hinein auf. Es reicht, wenn die Religiosität dem Menschen guttut. Egal, ob sie aus christlichen, islamischen oder buddhistischen Wurzeln stammt.
3. Bleibt die evangelikale Bewegung in der Spur Jesu?
Mitte des 20. Jahrhunderts war das Leiden vieler engagierter Christen an den
Irrlehren, wie sie zum Beispiel der Marburger Theologieprofessor Rudolf
Bultmann mit seinem Programm der Entmythologisierung vertrat, groß. Über 20.000
Besucher kamen 1966 in die Westfalenhalle nach Dortmund, um die
Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ zu gründen. Angesichts der
Auflösung der Lehre bildete sich in Deutschland die evangelikale Bewegung
heraus. Der freikirchliche Theologe Fritz Laubach sprach vom „Aufbruch der
Evangelikalen“. Tatsächlich formierten sich bibeltreue Christen zu alternativen
Institutionen in allen wichtigen Arbeitsbereichen der Kirche: in der
Publizistik, in der Mission und Evangelisation, in der theologischen Ausbildung
usw.
Doch mit dem 21. Jahrhundert gaben sich viele mit Spurenelementen der christlichen Wahrheit zufrieden. Die Substanz des Glaubens verlor sich in Beliebigkeiten. Ein Vorgang, den man mit dem Stichwort „Salami-Taktik“ umschreiben konnte. Vom ursprünglichen Gehalt der Wahrheit wurden mehr oder weniger dicke Scheiben abgeschnitten. Man fragte dann, wenn sich Kritik erhob, ob man wegen solcher – für sich betrachtet – nebensächlichen Inhalte die Einheit der Kirche aufgeben wolle. Ein handfestes Beispiel für diesen Vorgang ist die Diskussion um die Segnung bzw. die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Es geht, so wird argumentiert, doch nur um eine sexualethische Frage. Zudem beruft man sich auf scheinbar wissenschaftliche Ergebnisse der historischen und soziologischen Bibelkritik. Damit wird dann der eindeutige Wortlaut der Bibel fragwürdig. Konservative dürfen für sich an dem festhalten, was geschrieben steht, aber man kann die Schrift auch ganz anders lesen. Und dann erscheinen Amtshandlungen, die im Widerspruch zum Wort Gottes stehen, als legitim.
Das Erschreckende an der neuen Entwicklung ist, dass sich auch in der evangelikalen Bewegung diese Meinungen durchsetzen. Mit der Annäherung des Pietismus an die Evangelische Kirche in Deutschland und mit der Akzeptanz liberaler Theologien, lösen sich die in den 70er Jahren gewonnenen Klarheiten auf. Auch eine Reihe der institutionellen Parallelstrukturen bewegen sich mittlerweile auf den Spuren des Modernismus. Das kennzeichnet die eigentliche Krise des Bekenntniskampfes, mit der wir heute konfrontiert sind. Die klassische Spurweite des von Jesus vorgegebenen schmalen Weges wird zu einem Holzweg ausgeweitet. Holzwege verlocken manche Wanderer, denen der vorgegebene Pfad zu eng erscheint. Es handelt sich dabei um Schneisen, die mit großen Raupenschleppern angelegt sind, um das Holz aus dem Forst abzutransportieren. Sie enden irgendwo im Nirgendwo. Will man weiterkommen, so muss man umkehren und zu der richtigen Spur zurückkehren.
Hier genügen kleine Korrekturen nicht. Es ist so, als ob jemand, der nach Hamburg fahren möchte, versehentlich in den ICE nach München steigt. Dann reicht es nicht aus, durch die Abteile zum Ende des Zuges zu gehen. Denn auch der letzte Wagen kommt am Ende in München und nicht in Hamburg an. Der Reisende ist auf der falschen Spur und muss bei der nächsten Station die Bahn in Gegenrichtung nehmen.
Theologisch bedeutet eine solche Kehrtwende das Ende aller etablierten Bibelkritik und das Ja zur Inspiration der Heiligen Schrift als der einzig autorisierten Offenbarung Gottes. Der Inhalt der Bibel ist zusammengefasst in den Bekenntnissen der frühen Kirche und den Bekenntnissen der Reformation. Je nach den Herausforderungen der Gegenwart muss die Gemeinde Jesu Christi auf aktuelle Fragen durch neue Bekenntnisse und Stellungnahmen eingehen, wie dies bis heute geschieht. Dabei hat sich immer wieder erwiesen, dass die positive Bejahung der Glaubensinhalte allein nicht ausreicht. Es muss gleichzeitig gesagt werden, welche Lehren seitens bekennender Christen um der Wahrheit willen abzulehnen sind. Sowohl bei den alttestamentlichen Propheten wie auch bei Jesus und seinen Aposteln – und dann durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch – ging es immer um das Ja und das Nein der Bekenntnisse.
Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten dogmatische Lehrfragen im Zentrum der Auseinandersetzungen standen, geht es heute vermehrt um ethische Fragen, wie z.B. den Lebensschutz ungeborener Kinder und um die Thematik Sterbehilfe. Es geht um eine biblisch orientierte Sexualethik und das Verständnis von Ehe und Familie. Hinzu kommen umfassende soziale und politische Herausforderungen: Armut, Ausbeutung, Vertreibungen, das Problem des Klimawandels sowie die Einhaltung der Menschenrechte – nicht zuletzt die Verfolgung von Christen. Im umfassenden Sinne stehen grundlegende Werte der politischen Ethik zur Diskussion.
Vor allem geht es beim Bekennen angesichts des „schmalen Weges“, auf den wir in der Nachfolge von Jesu gerufen sind, um das persönliche Sündenbekenntnis. Alle, die bibeltreu lehren und verkündigen möchten, sind zur Demut gerufen.
4. Wir brauchen Spurhalteassistenten
Einige elektronisch gut ausgerüstete Autos haben heute einen eingebauten Spurhalteassistenten. Dieser hilft, den Wagen in der vorgegebenen Spur zu halten und soll verhüten, dass man auf die Gegenfahrbahn gerät.
Die vielfältigen regionalen, konfessionellen und aktuell bekennenden Gruppen und Gemeinschaften brauchen wechselseitig Assistenz, um auf dem rechten Weg zu bleiben. Diese kann durch punktuelle Aktionen vor Ort und durch kontinuierliche gegenseitige Information geschehen. Regelmäßige Studientage und Treffen der verantwortlichen Gremien sind ebenso nötig wie überregionale Glaubens- und Bekenntnistage für die breite Öffentlichkeit. Der Austausch von geeigneten Publikationen und die Veröffentlichung von bibel- und bekenntnisorientierten Texten ist ein starkes Zeichen der Einheit.
5. „Spuren im Sand“ – ein seelsorgerlicher Zuspruch
Das weit verbreitete Gedicht „Spuren im Sand“ unterstreicht die Treue, mit der Jesus Christus seine Nachfolger durch das ganze Leben begleitet und umsorgt. Ein Christ, der sein Leben im Rückblick betrachtet, mag zunächst den Eindruck haben, dass er speziell auf den schwierigen Wegstrecken alleine durch das Leben gehen musste. Doch der Herr zeigt ihm, dass er ihn gerade in diesen Situationen der Anfechtung auf den Armen getragen hat. Deshalb ist auf diesen Streckenabschnitten nur eine, statt der zwei Spuren im Sand zu sehen.
Wer auf der Spur von Jesus bleibt, hat besonders in Zeiten äußerer und innerer Krisen das Versprechen des Herrn, dass er ihn/sie liebevoll trägt. Der Bekenntniskampf ist kein Grund zur Resignation, sondern die bekennenden Gruppen dürfen ihren Weg ungeachtet des Ernstes der Lage in Zuversicht und Glaubensheiterkeit gehen. Jesus lebt und ist bei den Seinen.
Rolf Hille