Evangelikale und Homosexualität. Für eine Kulturreform.

Johannes Traichel, geboren 1991, ist Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde in Donaueschingen. Sein gerade erschienenes Buch „Evangelikale und Homosexualität – Für eine Kulturreform“ (erschienen bei jota-Publikationen 2022, 302 Seiten) ist sehr empfehlenswert. Johannes Traichel schreibt nicht nur sachlich und ohne verletzende Polemik, sondern mit spürbarer Liebe zu homosexuell empfindenden Menschen.

In einem ersten Kapitel schildert er den aktuellen Stand der Kontroverse über Homosexualität in der evangelikalen Bewegung. Es folgt im zweiten Kapitel eine sorgfältige Analyse des biblischen Befundes zum Thema Homosexualität. Darin findet sich auch ein hilfreicher Exkurs über „Sex in der Umwelt des Neuen Testaments“ (S.68-87). Der ist insofern wichtig, weil die biblische Kritik an homosexueller Praxis bis heute mit dem Argument als unmaßgeblich abgewehrt wird, dass es in der Antike homosexuelle Partnerschaften auf Augenhöhe und Dauer nicht gegeben hätte und Paulus sie bei seinen Aussagen nicht im Blick gehabt haben könnte. Zwischenergebnis: „So kann schlussendlich mit N.T. Wright davon gesprochen werden, dass die antike Welt sehr wohl homosexuelle Beziehungen kannte, die lebenslang andauerten. Geschlechtliche Beziehungen unter Männern und Frauen, die konsensuell waren, haben existiert und dürften nicht unbekannt sein.“ (S.81f)

Im dritten Kapitel „Ethik, Bibel und Zeitgeist“ (S.122-198) reflektiert der Autor ausführlich, wie die Brücke von den biblischen Aussagen in unser Leben zu schlagen ist. Eine Feststellung hält er am Schluss dieses Kapitel unmissverständlich fest: „Insgesamt bleibt einer christlichen Ethik, die an die Heilige Schrift gebunden ist, nichts anderes übrig, als daran festzuhalten, dass der Ort der ausgelebten Sexualität exklusiv in eine Ehe von Mann und Frau zu verorten ist und auch aus biblischer Sicht nirgends anders ihren Platz hat.“ (S.197f)

Was das für den Umgang einer Gemeinde mit Homosexualität bedeutet, beschreibt Johannes Traichel im 5. Kapitel durch eine siebenfache Kultur, die in einer Gemeinde gelernt und gelebt werden soll: Eine Kultur der Offenheit, eine Kultur der Gnade und Barmherzigkeit, eine Kultur der Vertrautheit und Freundschaft, der Entwicklung einer Willkommenskultur, eine Kultur der Heiligung, eine Kultur des selbstbestimmten Umgangs mit Veränderungsversuchen, eine Kultur der biblisch verantwortlichen Mitarbeit und Mitgliedschaft. Sein Fazit lautet: „Gemeinde liebt homosexuell Empfindende.“ (S.238) Er wirbt „für eine Kulturreform im evangelikalen Spektrum“. (S.269) Dieser Ruf muss gehört werden. Das ist auch meine Überzeugung.

Ich empfehle dieses Buch auch darum, weil es die aktuellen Veröffentlichungen der letzten Jahre diskutiert und damit die Leser auf den neuesten Stand bringt. Traichel setzt sich kritisch mit den Positionen von Michael Diener, Thorsten Dietz, Tobias Faix und der Initiative coming-in.de auseinander. Besonders erfreulich ist, dass Stimmen aus dem angelsächsischen Bereich wie die von Sam Allberry, David Bennett, Ed Shaw, N.T. Wright und anderen ausführlich gewürdigt werden, auf die wir in unserem Netzwerk immer wieder hingewiesen haben. Im Text selbst und in den Fußnoten wird der Leser in eine breite und gründliche Debatte einbezogen.

Johannes Traichel ist sich dessen bewusst, was mit der Kontroverse über Homosexualität für die Einheit von Gemeinden und Denominationen auf dem Spiel steht. Sein Hinweis auf das Sendschreiben Jesu an die Gemeinde in Thyatira (Offb. 2,18-29) unterstreicht den Ernst der Lage. (S.244ff)

Ulrich Parzany