Endzeitlich leben. Dem Anpassungsdruck widerstehen

Dr. Rolf Sons war von 2009 bis 2016 Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen, wo er 2015 diesen Vortrag gehalten hat. Er ist jetzt Pfarrer in Flein bei Heilbronn.

Endzeitlich leben. Dem Anpassungsdruck widerstehen

Wie bleibt der christliche Glaube in einer Welt, die sich nicht als christlich versteht, identifizierbar? Wie kann er in einer Zeit, die sich immer mehr von christlichen Inhalten und Werten verabschiedet, erkennbar und kräftig sein? Wie behält unser Glaube solche Konturen, dass er nicht im gesellschaftlichen Mainstream aufgeht bzw. untergeht?

Diese hier gestellten Fragen sind nicht neu. Vielmehr sind sie so alt, wie der Glaube an den Gott der Bibel selbst ist. Der Glaube an den einen Gott der Bibel befindet sich zu allen Zeiten im Widerstreit mit anderen, dem biblischen Glauben fremden Einflüssen, Einstellungen und Verhaltensweisen.

Schauen wir in die Heilige Schrift, so sehen wir, wie der Konflikt zwischen Anpassung und Widerstand ein Dauerthema biblischen Glaubens darstellt. Uns begegnet wie Aaron, Moses Bruder, dem Anpassungsdruck durch das Volk Israel nachgibt und den Gott vom Sinai durch ein goldenes Stierbild ersetzt. Wir sehen aber auch, wie Daniel und seine Freunde dem Anpassungsdruck am babylonischen Hof standhalten und ihre jüdische Identität nicht Preis geben. Bei dem Propheten Jeremia lässt sich erkennen, wie dessen Verkündigung den Worten der Zeitgeist-Propheten widerspricht und er dafür mit persönlichen Schmähungen und Leiden bezahlen muss. Ein Blick in die Evangelien zeigt uns die Unbestechlichkeit und die Widerstandskraft von Jesus. Paulus schließlich fordert die Gemeinde in Rom ganz offen dazu auf, sich „nicht dieser Welt“ gleichzustellen“ (Rö 12,2).

 

Die Aktualität des Propheten Daniel

Wir wenden uns im Folgenden dem Propheten Daniel und seinen drei Freunde zu. Im Buch Daniel kann man nach Gerhard Maier lernen, was Gottvertrauen, was Gehorsam gegen Gottes Gebot und was Treue bis zum Martyrium bedeutet. In zweifacher Hinsicht besitzt das an vielen Stellen geheimnisvolle Buch heute eine besondere Aktualität. Zum einen zeigt es uns, wie man als Christ in der Diaspora (Zerstreuung) oder auch in einer gesellschaftlichen Minderheitensituation lebt. Nicht nur in muslimischen Länden leben viele Christen heute in solchen Kontexten. Auch in unserem eigenen Land spüren wir, wie christliche Überzeugungen in Konflikt mit dem gesellschaftlichen oder politischen Mainstream geraten. Die heftig geführten Debatten um den Bildungsplan in Baden-Württemberg belegen dies deutlich.

Das andere, was wir bei Daniel sehen, ist die endzeitliche Perspektive. Das Buch Daniel zeugt von einer großen Hoffnung auf das kommende Reich Gottes. Diese Hoffnung ist von großen Erschütterungen begleitet. Als Christen befinden wir uns heute in einer vergleichbaren Situation. Weltreiche kommen und gehen, unsere Erde wird vielfach erschüttert. Mitten in all dem aber erwarten wir Gottes neue Welt.

In fünf Punkten will ich versuchen, einen endzeitlichen Lebensstil zu beschreiben, der sich dem Anpassungsdruck widersetzt:

 

  1. Das Bekenntnis festhalten

Das Danielbuch führt uns hinein in die gewaltigen Umbrüche im nahen Osten im 6. vorchristlichen Jahrhundert. Der babylonische König Nebukadnezar besiegt im Jahre 605 in der Schlacht bei Karkemisch die ägyptische Großmacht und steigt damit selbst zu unumschränkter Herrschaft in dieser Region auf. Auf dem Rückweg nach Babylon zieht er erstmals gegen Jerusalem. Dabei gibt es erste Plünderungen am Tempel und auch erste Deportationsmaßnahmen. Daniel und seine drei Freunde werden nach Babylon verschleppt. Dort werden sie am Hof des despotischen Königs einem gewaltigen Umerziehungsprogramm unterzogen. Nebukadnezar gleicht darin den Tyrannen aller Zeiten. Er sucht sich junge Leute, die keine Gebrechen haben, schön, begabt und klug sind. Diese will er „auf Linie bringen“. Dabei sollen sie nicht nur Schrift und Sprache der Babylonier lernen. Sie sollen sich auch an die babylonische Küche gewöhnen. Dazu werden ihre Namen verändert. Aus Daniel (Gott ist mein Richter) wird schon bald Beltschazar (Bel, der heidnische Gott, schirme sein Leben). – Die Umstellung auf den heidnischen Speiseplan wird für Daniel schließlich zu einer ernsten Glaubensprobe. Die Babylonier aßen Tiere, welche nach dem jüdischen Gesetz als unrein galten. Dazu tranken sie Wein, der den Göttern geweiht und teilweise geopfert worden war. Die Frage des Essens war kein „Adiaphoron“, d.h. eine Sache von nachrangiger Bedeutung. Vielmehr ging es an dieser Stelle um den Gehorsam gegen Gottes Gebot.

Daniel hatte in seiner jüdischen Ursprungsfamilie die jüdischen Speisevorschriften kennen gelernt und diese auch praktiziert. Nun steht er unter Druck, diese fallen zu lassen oder aber, diese als seine eigenen Überzeugungen zu übernehmen. Daniel befindet sich als junger Mensch also in einer Entscheidungssituation von großer Tragweite. Würde er seinen religiösen Überzeugungen treu bleiben oder würde er diese den äußeren Gegebenheiten anpassen und damit dem Druck nachgeben?

Wir können diese Frage auch anders stellen. Wo sind wir als Christen gefordert, uns dem kulturellen Kontext anzupassen? Wo müssen wir uns davon unterscheiden und Gott mehr gehorchen als den Menschen? Daniel war in mehreren Hinsichten angepasst. Daniel musste sich mit heidnischer Sprache, Schrift und Wissenschaft beschäftigen. Er bewegte sich tagtäglich am Hof des Königs. Dort pflegte er Umgang mit Menschen, denen sein Glaube nichts bedeutete. Er erlebte die heidnischen Feste und wurde sogar mit einem neuen Namen angesprochen. Daniel lebte ganz und gar in einer heidnischen Welt, der er nicht entfliehen konnte. Zugleich aber traf Daniel eine grundlegende Entscheidung in seinem Herzen. Er will sich nicht verunreinigen. Bei aller äußeren Solidarität zum heidnischen Weltreich bleibt er in seinem Herzen Gott treu. So heißt es hier: „Daniel nahm sich in seinem Herzen vor, dass er sich mit des Königs Speise und seinem Wein nicht  unrein machen wollte.“

Das Herz ist der Sitz des menschlichen Willens. Hier werden die Entscheidungen getroffen. Daniel will zu den Traditionen, die ihm in seiner jüdischen Erziehung mit auf den Weg gegeben wurden, stehen. Niemand zwingt ihm diesen Entschluss von außen auf. Vielmehr übernimmt er an dieser Stelle für sich selbst Verantwortung. Er will seinem Gott, seinem Glauben und seiner religiösen Erziehung treu bleiben.

Drei Dinge fallen mir an dieser Stelle auf. Zum einen braucht es eine entscheidend christliche Prägung von Kindern. Kinder brauchen Wurzeln, auf die sie sich besinnen können. Sie brauchen Traditionen, Gewohnheiten und Rituale, die ihnen später im Leben Halt geben können. In der sog. Postmoderne, deren Kennzeichen unter anderem der völlige Traditionsabbruch ist, stehen wir an dieser Stelle vor großen Herausforderungen. Wie können wir hilfreiche Traditionen für uns selbst pflegen und an die nächste Generation weitergeben?

Was in diesem Kontext weiter auffällt, ist die Tatsache, dass Daniel zu einem eigenen Bekenntnis findet. Der überlieferte Glaube will persönlich übernommen werden. Überzeugungen wollen persönlich verantwortet werden. Es genügt nicht, den Glauben nur äußerlich zu übernehmen. Es braucht vielmehr eine „intrinsische Motivation“. Es braucht das persönliche Bekenntnis.

Schließlich: Der Glaube in einer säkularen oder auch multi-religiösen Welt nötigt zu Entscheidungen. Entscheidungen treffen aber bedeutet, dass man nicht einfach nachgibt, seinen Fähnchen nach dem Wind hängt oder sich mit dem großen Strom treiben lässt, sondern sich bekennt und damit Verantwortung übernimmt.

Ein solches Bekenntnis erfordert Mut. Aus dem Neuen Testament wissen wir, dass Jesus ein solches Bekenntnis anerkennt und segnet (Mt 10,32). Auch zu Daniel bekennt sich Gott. Er erfährt nicht nur die Gunst des königlichen Kämmerers. Er erlebt auch, wie er mit Gesundheit, Wohlergehen und göttlicher Weisheit beschenkt wird.

 

  1. Gott mehr gehorchen als den Menschen

Im zweiten Jahr seiner Herrschaft (etwa im Jahre 602) wird Nebukadnezar durch einen nächtlichen Traum tief beunruhigt. Der Inhalt des Traumes ist ihm entfallen. Daher befiehlt er den Zeichendeutern und Weisen seines Reiches, ihm sowohl den Inhalt auch die Deutung des Traumes mitzuteilen. Diese aber sind überfordert und müssen zugeben: „Was der König fordert, ist zu hoch, und es gibt auch sonst niemand, der es vor dem König sagen könnte, ausgenommen die Götter, die nicht bei den Menschen wohnen.“ (2,11). Die Vertreter heidnischer Esoterik sind am Ende mit ihrer Kunst und müssen bekennen, dass es der Hilfe anderen Göttern bedarf, wie man sie in Babylon nicht kennt. Schließlich ergreift Daniel die Initiative. Da er sich selbst und auch die heidnischen Magier in Todesgefahr sieht, wendet er sich an den König und bittet um eine Frist zur Deutung des Traumes. Daniel sucht seine Freunde auf. Gemeinsam beten sie zu Gott, der weiß, „was tief und verborgen ist und in der Finsternis liegt“ (2,21), damit er ihnen den Traum kund tut. In einem „Nachtgesicht“ wird Daniel schließlich eine gewaltige Vision von den Reichen dieser Welt und ihrem Zerfall zuteil.

Die Traumdeutung Daniels hatte bei Nebukadnezar einen gewaltigen Schrecken ausgelöst. Es ist daher verständlich, dass er alles in seiner Macht liegende versucht, um sein eigenes Reich zu festigen und zu einigen. Wie könnte dies besser gelingen als durch einen großen Staatsakt, bei welchem er sämtliche Untertanen zur Anbetung eines einzigen Gottes verpflichtet? Nebukadnezar lässt ein von Gold überzogenes Standbild anfertigen, dessen Höhe etwa 30 Meter und dessen Breite ca. 3 Meter beträgt. In Anbetracht der schlanken Maße dürfte es sich um einen Obelisken gehandelt haben. Zur Einweihung dieses staatlichen und religiösen Einheitssymbols lädt er sämtliche Provinzgouverneure und Statthalter sowie die Vertreter der Justiz und der Verwaltung ein. Die Einheit des Großreiches war eine vorrangige Aufgabe. Die Vertreter der einzelnen Regionen des Reiches sollen daher auf die Anbetung des Standbildes verpflichtet werden.

Nun waren bei der Staatsfeier auch die drei Freunde Daniels in ihrer Funktion als Bezirksstatthalter eingeladen. Als Juden sahen sie sich dem ersten Gebot verpflichtet. Deshalb weigern sie sich, das Götzenbild anzubeten. Nebukadnezar kommt dies zu Ohren: „Nun sind da die jüdischen Männern (…). Die verachten dein Gebot und ehren deinen Gott nicht und beten das goldene Bild nicht an, das du hast aufrichten lassen.“ (3,12).

Was sich hier abspielt, ist im Grunde lächerlich. Was sind schon drei Männer unter tausenden, ja vielleicht sogar Millionen von Menschen, die den Staatsgott anbeten? Das Weltreich des Nebukadnezar steht für den antichristlichen Staat. Er verlangt Totalität. Er verlangt totale Unterwerfung. Wer sich nicht fügt, muss weichen, wird ausgegrenzt, diffamiert, verfolgt oder gar getötet. Uns begegnen hier die Wesensmerkmale einer Diktatur. Die Geschichte der Völker ist voll davon.

Wir leben heute in einer Demokratie. Es herrschen Meinungsfreiheit, Toleranz und Freiheit. Dabei meint die Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden. Dennoch: auch in unserer freiheitlichen Gesellschaft stoßen wir an Grenzen. Es gibt so etwas wie einen Meinungsmainstream, dem man sich nur schwer entziehen kann. Wer sich diesem Mainstream widersetzt und nicht alles gut findet, was die Masse bzw. die gesellschaftlichen Meinungsmacher gut finden, erfährt sehr rasch Ausgrenzung und Diffamierung. Wir erleben dies nicht nur in manchen Talkrunden. Dies zeigt sich leider teilweise auch in der Kirche. Es gibt so etwas wie eine politische Correctness dessen, was man sagen, schreiben und denken darf und was nicht. Beispiele dafür finden sich in der kirchlichen wie auch in der akademischen Welt genügend. Es ist ein Unrecht, wenn etwa der Kirchentag den „Evangeliumsdienst für Israel“ auf dem Markt der Möglichkeiten nicht zulässt. Genauso ist es Unrecht, wenn Gruppen wie „Wüstenstrom“, die für einen alternativen Umgang mit homosexuell empfindenden Menschen plädieren, keinen Raum auf dem größten deutschen Protestantentreffen bekommen. Es gibt einen gesellschaftlichen und kirchlichen Mainstream, dem sich zu widersetzen sehr viel Kraft kostet. Dennoch ist es unsere Aufgabe, an dieser Stelle alternative Denkräume offen zu halten.

Wir erleben zur Zeit eine aufgewühlte Situation, was den Umgang mit Muslimen betrifft. Wer wagt es angesichts der großen Solidaritätsbekundungen zu sagen, dass die Unterschiede zwischen Islam und Christentum unüberbrückbar sind? Wer wagt es zu sagen, dass Christentum und Islam sich niemals verbrüdern können? Wer wagt es, dem Trend zur Vereinheitlichung zu widersprechen?

Wie kann man der Anpassung widerstehen? Die drei Freunde Daniels gehorchen in dieser Situation Gott mehr als Menschen. Wo die Freiheit des Evangeliums, des Glaubens auf dem Spiel bedroht ist, gilt diese Maxime. Christen sind ihrem Staat gegenüber loyal, so lange sie ihren Glauben frei äußern dürfen. Wo dieses ihnen verwehrt ist, gibt es für sie eine höhere Loyalität, der sie gehorchen müssen.

 

  1. Sich auf Leiden einstellen  

Babylonien ist als das Land der Öfen bekannt geworden. In tunnelförmigen Öfen wurden Ziegel gebrannt bzw. Erz geschmolzen. Mit einer Holzkohlenfeuerung erreichten diese Öfen Temperaturen bis 1000 Grad. In einen solchen Ofen sollen nun die drei Freunde Daniels gesteckt werden. Sie hatten sich geweigert, die Götterstatue anzubeten. Nun müssen sie mit den Konsequenzen rechnen und werden in den Feuerofen geworden.

Die Gemeinde der Endzeit, die dem Anpassungsdruck widersteht, wird dem Leiden nicht entkommen können. Jesus selbst hat seinen Jüngern vorausgesagt, dass man sie in Gefängnisse wirft, sie vor Könige und Statthalter führt und dass sie von jedermann gehasst würden (vgl. Lk 21,12ff). Paulus schreibt an die Gemeinde in Philippi: „Denn euch ist es gegeben um Christi willen, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch um seinetwillen zu leiden.“ (Phil 1,29). Der Hebräerbrief lenkt den Blick der leidenden Gemeinde auf Christus, der selbst für sie am Kreuz gelitten hat und den Widerspruch der Menschen ertragen hat (Hebr 12,1ff).

Christusnachfolge und Leiden stehen in einem inneren Zusammenhang. „Wie Schafe unter die Wölfe“ werden die Jünger Jesu gesandt. Der Anpassungsdruck, dem insbesondere Christen in muslimischen Ländern ausgesetzt ist, ist riesig. Der Missionstheologe Christoph Sauer verweist auf das mutige Beispiel der sudanesischen Ärztin Dr. Meriam Ibrahim, die in Karthum hochschwanger zum Tode verurteilt wurde. Auf den Vorwurf hin, sie sei als Christin vom Islam abgefallen und solle zu diesem zurückkehren, antwortete sie ihren Anklägern: „Ich bin eine Christin und kann deshalb nicht des Abfalls vom Islam schuldig sein.“ Sauer schreibt dazu: „Am Zeugnis für Christus und am Einsatz für sein Reich und seine Gerechtigkeit ist daher gerade auch angesichts von erfahrenem Widerstand sowie Bedrängnis, Verfolgung und Martyrien treu festzuhalten.“[1] Die Glaubenstreue dieser Frau ist beachtenswert. Es bedurfte eines breiten öffentlichen Interesses und der Intervention westlicher Politiker, dass Dr. Ibrahim am Ende frei kam.

Nun bedeutet die Situation des Leidens nicht nur den Glauben zu bewähren. Es ist zugleich ein besonderer Ort des Segens. Manfred Seitz erinnert daran, dass die Kirche im Martyrium gesegnet wird. Wozu wird sie gesegnet? Damit die Gemeinde Jesu auch wirklich Gemeinde bleibe und in ihrem geistlichen Leben nicht der Verflachung anheim falle, braucht sie ein bestimmtes Maß an Leiden. Sonst wird sie von Christus losgerissen und zum Treibholz vieler Strömungen. Erst das Leiden verankert sie fest im Wort Gottes.

Ein weiterer Segen des Leidens besteht darin, dass die getrennten Konfessionen im Leiden zusammenrücken. Seitz erinnert hier an die Erfahrungen lutherischer und orthodoxer Christen in Russland während der bolschewistischen Revolution und an die Begegnungen von Katholiken und Protestanten in den KZs des Dritten Reiches. In der Begegnung mit der antichristlichen Weltmacht, die völlige Unterwerfung beansprucht, bleibt der Gemeinde nur das Leiden. Karl Hartenstein sagt: „Es gibt keine Revolution für die Gemeinde, sondern nur das Leiden.“ (S. 69).

Diejenigen, die um Christi willen leiden, haben Teil an einer besonderen Erfahrung. Die Leidenden werden in besonderer Weise von Christus gehalten und bewahrt. Genau diese Erfahrung wird auch den drei Freunden Daniels zuteil. Sobald diese im Feuerofen sind, tritt eine vierte Person zu ihnen, so dass Nebukadnezar sich verwundert die Augen reibt: „Haben wir nicht drei Männer gebunden in das Feuer werfen lassen? (…) Ich sehe aber vier Männer frei im Feuer umhergehen und sie sind unversehrt; und der vierte sieht aus, als wäre er ein Sohn der Götter.“ (3,25f).

Im Hebräerbrief findet sich eine Deutung dieses Wunders. Dort heißt es: „Durch den Glauben haben sie des Feuers Kraft ausgelöscht.“ (Hebr 11,34). Tatsächlich vertrauen die drei Freunde auf die Überlegenheit ihres Gottes. „Wenn unser Gott will, den wir verehren, so kann er uns erretten; aus dem glühenden Ofen und aus deiner Hand, o König, kann er erretten.“ (3,17).

Aus der Geschichte ihres Volkes wissen die drei, dass ihr Gott erretten kann. Hat er Israel am Schilfmeer gerettet, so kann er sie auch in dieser Situation retten. Nun zeigt die Geschichte der christlichen Märtyrer, dass es nicht immer so glücklich ausgeht, wie im Falle Daniels und seiner Freunde. Dennoch bleibt die Gewissheit, dass auch die um Christi willen leiden, von seiner Hand gehalten werden. Der Theologieprofessor Traugott Hahn wurde 1917 im Baltikum von den Bolschwiken zunächst gefangen und dann getötet. Seine Frau schreibt im Rückblick: „In das fast betäubende Dunkel des ersten Schmerzes leuchtete vom Kreuz Christi her das „Dennoch“ des Glaubens. Hatte an jenem Tage der Kreuzigung nicht auch das Böse scheinbar triumphiert? Und doch war es der größte Sieg, der je erfochten wurde, die größte Liebestat, die Gott an den Menschen getan hat. So durften auch wir glauben an Gottes Liebesabsichten, die uns freilich noch verborgen waren. Hatte Gott nicht auch meinem Mann innerlich stark gemacht, im Gehorsam gegen Ihn den bitterschweren Todesweg zu gehen, und war dieser innere Sieg nicht größer, als eine leibliche Errettung es gewesen wäre?“[2]

 

  1. Beharrlich die Frömmigkeit pflegen

Eine neue Gestalt betritt die Bühne der Weltpolitik, Darius, der König der Meder. Eine seiner ersten Maßnahmen, die er als neuer König durchführt, ist eine Verwaltungsreform. Er gliedert sein riesiges Reich – Mesopotamien, Syrien, Phönizien, Israel – verwaltungsmäßig auf. Außer den 120 Statthaltern setzt er noch drei „Chefminister“ als eine Art Zwischeninstanz zwischen sich und den Statthaltern ein. Einer unter ihnen ist Daniel. Daniel findet sich nun in einem sehr hohen Regierungsamt wieder. Er ist also erfolgreich und macht Karriere. Glaube an Gott sowie Aufstieg und Erfolg sind kein Gegensatz, sondern durchaus vereinbar.

Jedoch sieht Daniel sich einer intriganten Gegnerschaft gegenüber. Sein Erfolg ruft Neider auf den Plan, die genau wissen wo sie ihn packen können. Da sein Verhalten tadellos ist, bleibt nur sein Glaube als Angriffspunkt. Sie intervenieren beim König. Dieser soll ein Gesetz erlassen, welches ein Gebet zu einem fremden Gott untersagt. Die Tatsache, dass das Gesetz in schriftlicher Form verfasst werden soll, verleiht ihm besonderes Gewicht.

Beeindruckend ist Daniels Reaktion auf diesen Erlass: „Als nun Daniel erfuhr, dass ein solches Gebot ergangen war, ging er hinein in sein Haus. Er hatte aber an seinem Obergemacht offene Fenster nach Jerusalem und er fiel dreimal am Tag auf seine Knie, betete, lobte und dankte seinem Gott, wie er es auch vorher zu tun pflegte.“ (6,11).

Daniel verfällt nicht in Hektik oder Panik. Auch wird er nicht aggressiv. Er bleibt vielmehr ganz ruhig bei seiner Gewohnheit, dreimal am Tage zu beten. Daniel schließt auch keine Kompromisse. Wie nahe liegend wäre es doch gewesen, für nur 30 Tage das Beten zu unterbrechen? Oder auch bei geschlossenem Fenster zu beten? – Von all dem hören wir nichts. Daniel widersteht dem Anpassungsdruck. Beharrlich pflegt er seine Gewohnheiten und bleibt so seinem Herrn treu. Daniels Gebet wird zum Glaubensbekenntnis.

Das Gebet ist heutzutage gefährdet. Entweder findet man nicht die Zeit dazu oder man meint überhaupt auf das Gebet verzichten zu können. Der Weltumsegler Gebhard Rollo wurde gefragt, ob er unterwegs auch gebetet hat. Er antwortete: „Nein! Das ist etwas für Schwache.“ Das ist der Geist, der uns umgibt. Wie aber kann eine Christenheit, die nicht mehr betet oder zum Beten keine Zeit mehr findet, geistlich überleben? – Ohne das Gebet kann unser Glaube nicht diasporafähig werden. Ohne Gebet kann er keine Widerstandskraft aufbringen. Genau um dieses Geheimnis wusste Daniel. Daher hält er seine Gebetszeiten ein.

Durch das Gebet gab Daniel seinem Leben eine Ausrichtung. Versinnbildlicht ist dies dadurch, dass er sein Gebet nach Jerusalem orientierte. Ohne eine solche tägliche Orientierung bleibt unser Glaube schwach und unsere Gottesbeziehung oberflächlich. Geistliche Gewohnheiten, wie eine Gebetszeit am Tag sind eine Hilfe, dem eigenen Glauben Kontur zu verleihen. Sie verhelfen zu innerer Ausrichtung, Reinigung und Klärung. Gerade in unserer mediendurchfluteten Zeit stellen solche Gewohnheiten eine echte Hilfe dar.

 

  1. Die Hoffnung auf den wiederkommenden Herrn festhalten  

Mit dem 7. Kapitel des Buches Daniel öffnet sich ein neuer Horizont. Alles Biographische und Persönliche tritt in den Hintergrund. Im Vordergrund stehen die Visionen Daniels über die Zukunft der Welt und des Reiches Gottes. Daniel sieht vier Tiere aus dem Völkermeer aufsteigen. Es handelt sich um menschliche Gewalten, die den Charakter des Tierhaften an sich tragen. Im ersten Bild sehen wir den Löwen. Vieles spricht dafür, den Löwen auf das persische Reich zu deuten. Am Ende wird dieses Reich von Alexander dem Großen, im Bild des Bären dargestellt, überrannt. Im Bild des Panthers mit seinen vier Flügeln und Köpfen lässt sich am ehesten die weltumspannende Macht des römischen Reiches erkennen. Das vierte Tier trägt einen eigenen Charakter. Es ist furchtbar und zerstörerisch. Die 10 Hörner sind Ausdruck seiner ungeheuren Macht. Das kleine, elfte Horn, das ihm entspringt, lässt sich auf die Person und die Macht des Antichristen deuten. Sein Kennzeichen ist, dass er „den Höchsten lästern“ und „die Heiligen des Höchsten vernichten wird“ (7,25). Er wird die Zeiten, Ordnungen und Gesetze, die Gott geschaffen hat, ändern. Das neue Testament bezeichnet ihn als „Mensch der Gesetzlosigkeit“ (Mt 24,12). Er wird Jesus Christus leugnen (1Joh 2,22; 4,2),  das Bekenntnis zu ihm verbieten und versuchen, die Gemeinde Gottes zu vernichten. Er beansprucht Totalität und Weltherrschaft.

Neben diesem schrecklichen Bild des Antichristen sieht Daniel noch ein anderes Bild. In demselben Kapitel beschreibt er den vom Himmel herkommenden Menschensohn. Gott hat ihm alle Macht verliehen. Im Unterschied zum dem zeitlich begrenzten Reich des Antichristen wird sein Reich ewig bestehen. Der Menschensohn ist der von Gott bevollmächtigte Weltenherrscher. Dieser ist kein anderer als Jesus Christus. Er wird Gericht halten und den Antichristen mit seinem Reich besiegen (7,27). Daniel ist über diese beiden Bilder zutiefst beunruhigt. Die Farbe weicht aus seinem Antlitz. Doch zugleich behält er diese Worte in seinem Herzen (7,28).

Die Bibel beschönigt den endzeitlichen Anpassungsdruck, unter den die Gemeinde gerät nicht. Sie sieht die Gefahren der Verführung, der Verfolgung und sogar der Verleugnung des Christusbekenntnisses. Sehr nüchtern berichtet sie, dass viele vom Glauben abfallen oder einander verraten. Ganz offen spricht sie vom Hass der Völker gegen das Gottesvolk (vgl. Mt 24,9ff).

Zugleich fordert sie dazu auf, die Hoffnung festzuhalten. Weder Anpassung noch Resignation, sondern Hoffnung auf das kommende Reich des Herrn ist das Thema der Gemeinde. Dort wird Christus sie empfangen, trösten und die Tränen abwischen. Die christliche Hoffnung geht über diese Welt hinaus. Sie erschöpft sich nicht im Vertrauen auf das Irdische, das Vorläufige und das Vergängliche. Vielmehr ist sie kostbar. Kostbar weil ewig. Kostbar, weil nicht von dieser Welt. Kostbar, weil unvergänglich. Paulus schreibt triumphierend: „Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.“ (Röm 8,18).

Genau diese Kraft der Hoffnung auf Gottes ewiges Reich ist es, die hilft, dem Anpassungsdruck in jeder Form zu widerstehen.

Wir kommen zum Schluss: Daniel behält „diese Worte in seinem Herzen“. Was die Gemeinde der Endzeit benötigt, ist eine Gefangenschaft der Herzen. Das Verankert-Sein des eigenen Herzens in Christus und seinem Wort verleiht Widerstandskraft gegen den zunehmenden Anpassungsdruck. So schließen wir mit einem Wort von Hrbanus Maurus (750 856): “Die Alten redeten viel von Freiheit. Wir aber erfuhren auf schwerer Fahrt: die echte Freiheit ist eine heilige Gefangenschaft des Herzens.”

 

[1] Christof Sauer, Todesstrafe für Glaubenswechsel, in: DtPfrBl 115 (2015), 18.

[2] Anny Hahn, D. Traugott Hahn, Ein Lebensbild aus der Leidenszeit der baltischen Kirche, Heilbronn 1931, S. 222.