Silber und Gold habe ich… mehr aber auch nicht – ein Kirchenkommentar von Martin P. Grünholz
Im katholischen Oberbayern treffen sich am Sonntagmorgen ca. 40 Besucher zu einem Gottesdienst in der evangelisch-lutherischen Kirche. Die Meisten, so wie wir als Familie, offensichtlich Urlauber. Die Technik funktioniert häufig nicht, die Organistin weiß nicht, welche Lieder gesungen werden, mangels Bekanntheit singt aber sowieso fast ausschließlich der Pfarrer. Und die Kirchendienerin in Aushilfe weiß nicht so richtig was zu tun ist. Mit gut zehn Minuten Verspätung beginnt der Gottesdienst – alles kein Problem, wir sind schließlich im Urlaub.
In der Predigt ging es über den Tempelbesuch von Petrus und Johannes in Apostelgeschichte 3, die am Eingang von einem Gelähmten um ein Almosen gebeten werden. Reaktion von Petrus: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!“ (Apg 3,6) Der freundliche Pfarrer erzählte von seinem gerade beendeten Sommerurlaub, den er zum Teil auf Malta verbracht hat. Noch ganz unter dem Eindruck der Flüchtlinge und Schiffe der Seenotretter von dort und der Berichte über Weigerungen der Regierungen von Malta und Italien weitere Schiffe in ihre Häfen zu lassen, bezog der Pfarrer den Predigttext auf das Erlebte: Die erste christliche Gemeinde in Jerusalem hatte keine irdischen Reichtümer, die sie an die Armen verteilen konnten – wie viel mehr dagegen wir, die wir eine „gewisse, finanzielle Abdeckung“ zur Verfügung hätten. Es könne nicht sein, dass wir als christliches Abendland an der Not der Menschen vorbeigingen. Die Kirche habe zu allen Zeiten dafür gestanden, sich besonders um die Armen und Notleidenden zu kümmern. Die Botschaft und der Auftrag der Kirche sei es: „unmündige Menschen zu befreien und zum selbstbestimmten Leben zu verhelfen“.
Hm… spätestens nun wurde ich hellhörig. Nicht, weil mich plötzlich die Botschaft des Evangeliums ins Herz traf, sondern mein Philosophen-Ohr aufging. Den Menschen aus ihrer Unmündigkeit befreien? Selbstbestimmtes Leben? Fehlt eigentlich nur noch der Aufruf: „Sapere aude! Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Denn dies ist nicht die Botschaft des Evangeliums, sondern die Botschaft der sogenannten Aufklärung, insbesondere von Immanuel Kant.
Ernüchtert musste ich feststellen: Was also von Petrus und Johannes, von Jesus Christus und der befreienden Botschaft des Evangeliums übrig geblieben ist: Immanuel Kant und der deutsche Idealismus. Immerhin, Silber und Gold hat die Kirche, dank der (noch) zahlenden Babyboomern und ihrer Kirchensteuern. Doch was nützen alle finanziellen Möglichkeiten, wenn der eigentliche Inhalt, der Auftrag verloren ist, wenn statt Christus nur noch Kant verkündigt wird, betreibt man dann nicht Selbstauflösung?
Dazu lese ich heute Morgen ein Interview mit dem Kirchenpräsident Volker Jung in der FAZ (http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/deutschlands-kirchen-verzeichnen-mitgliederschwund-15754805.html), worin er eine „religiöse Indifferenz“ beklagt und als Ursache den Reichtum unserer Gesellschaft nennt. Vielleicht hat der Präsident der Hessen-Nassauer Landeskirche mehr Recht, als ihm liebt ist, aber eben nicht in Bezug auf die Gesellschaft, sondern auf den Reichtum seiner eigenen Kirche, die zur religiösen Indifferenz, also der religiösen Gleichgültigkeit, geführt hat und die Theologie und Kirche in die weit geöffneten Arme von Kant getrieben hat.
Gegen Ende beklagt er, dass konservative Christen von der Kirche eine „dogmatische Wertebehauptung“ und eine „aggressive Haltung gegenüber dem Islam“ erwarten, der Weg der evangelischen Kirche aber ein anderer sei, nämlich der Dialog. Jung hat insofern Recht, dass der Dialog, das offene und einladende Gespräch über den Glauben wirklich tief im christlichen Menschenbild und unserem Glauben verankert ist. Aber dazu muss man auch wissen, wofür man steht! Es kann nicht sein, dass die kirchliche Theologie und Praxis sich lediglich auf eine humanistische Ethik beschränkt, ihre Grundlagen und Glaubensbasis dabei aber offensichtlich völlig vergessen hat.
Denn das Entscheidende bei Petrus und Johannes war, dass sie von ihrem Zentrum aus geprägt waren und dies teilten: den Namen Jesu Christi von Nazareth. Jesus Christus, der stellvertretend für die Menschen gestorben ist und am dritten Tage auferstanden ist von den Toten, der alle Macht hat im Himmel und auf Erden. Er allein ist es, der uns Menschen retten kann. Tatsächlich vor der Unmündigkeit, nämlich vor der Sklaverei, in die uns die Sünde, die Rebellion gegen Gott, getrieben hat. Sklave zu sein, selbst alles in der Hand haben zu müssen. Sklave zu sein, und von meinem Egoismus und Individualismus aufgefressen zu werden. Sklave zu sein, den Menschen gefallen zu wollen. Sklave zu sein, nie genug zu bekommen und ständig „mehr“ zu wollen.
Der Name Jesu Christi ist die Botschaft der Kirche. Denn in diesen Namen allein liegt das Heil, durch ihn allein können wir gerettet werden (Apg 4,12). Wir verkündigen keine bessere Philosophie, keinen Idealismus oder schon gar keinen Immanuel Kant, sondern wir verkündigen Jesus Christus, den Gekreuzigten (1Kor 2,2). Wo dies geschieht und wo Menschen zum Glauben an diesen rettenden Herrn kommen, dort erleben wir, wie Menschen wirklich geholfen wird, wie sie frei werden von der Macht der Sünde, wie nachhaltige Lebensveränderung eintritt, die nämlich nicht nur für maximal ein paar Jahre reicht, sondern bis hinein in die Ewigkeit wirkt.
Martin P. Grünholz ist Gemeinschaftspastor in Steinen (Baden), Doktorand an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg, Schweiz, und Mitglied der Fortsetzungsgruppe des Netzwerks Bibel und Bekenntnis.
Auf biblipedia.de veröffentlich am 27. August 2018