Selber denken ist dringend geboten!

Der zweite Band der „Transformativen Ethik“ ist erschienen: Thorsten Dietz, Tobias Faix, Transformative Ethik – Wege zur Liebe: Eine Sexualethik zum Selberdenken, Neukirchener Verlage 2025, 527 Seiten. Er bestätigt leider die Befürchtungen, die ich nach Lektüre des ersten Bandes hatte. Von dem, was ich dazu geschrieben habe, muss ich leider nichts zurücknehmen. Hier nachzulesen: https://www.bibelundbekenntnis.de/publikationen/transformative-ethik/
Das Bild von Karte und Gebiet ist für die Autoren in ihren ethischen Überlegungen leitend. Die Bibel ist die alte Landkarte. Unsere heutige Welt ist das Gebiet. Die Wege, die in der alten Karte eingezeichnet sind, gibt es leider heute nicht mehr. Wege, die wir durchs heutige Gebiet suchen, kann man in der veralteten Karte nicht finden. Also spielen die Gebote Gottes keine maßgebende Rolle. Gebotsethik ist für die Autoren etwas ganz Schlimmes. Keine Spur von Nachdenken darüber, dass und wie Jesus die Gebote Gottes in der Bergpredigt oder in Johannes 15,10 („Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe“) oder im Gespräch mit dem reichen jungen Mann (Mat 19,16-19) bestätigt.
Die Autoren orientieren sich dagegen an Judith Butler, deren Gender-Ideologie sie heftig verteidigen, und anderen Ratgebern, die fast jedes sexuelle Verhalten rechtfertigen oder empfehlen. Vorehelich, außerehelich, hetero, homo, queer, polyamorös.
Welche Rolle spielt die Bibel in diesem Buch? Ihre Aussagen werden von den Autoren auf die Prinzipien Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit geschrumpft. Diese Prinzipien werden, wenn die Autoren es für nötig halten, auch kritisch gegen konkrete biblische Aussagen angewandt. Unter Berufung auf das Liebesgebot werden in der kirchlichen Argumentation ja schon länger konkrete Gebote Gottes für ungültig erklärt. Gegen den Gebrauch der Bibel als Wort Gottes und Maßstab für Glauben und Leben wird in diesem Buch durchgehend polemisiert.
Was schon im ersten Band behauptet wurde, wird im zweiten konsequent ausgeführt: Die neuzeitlichen Transformationen in Verständnis und Verhalten hinsichtlich Gender und Sexualität werden als Wirken Gottes in der Geschichte bewertet. Ihnen wird quasi eine Offenbarungsqualität zugesprochen. Sie werden deshalb als maßgebend angesehen.
Die Selbstbestimmung des Menschen ist Grunddogma für sexuelles Verhalten. Der wichtigste ethische Maßstab ist Einvernehmlichkeit. Wenn die gewährleistet ist, kann auch Polyamorie positiv bewertet werden. Die Auffassung, sexuelle Intimität sei der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau vorbehalten, wird als Zumutung abgelehnt. Nach Auffassung der Autoren ist die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare christlich geboten, ihre Ablehnung nicht akzeptabel.
Zur Konfliktlösung in den vorherrschenden Kontroversen um Sexualität in Kirchen und Gemeinden empfehlen die Autoren Ambiguitätstoleranz. Alles solle irgendwie akzeptiert werden, auch wenn man ihm nicht zustimmen könne. Das rigorose Vorgehen der Kirchenleitungen der Evangelischen Landeskirchen beweist, dass Ambiguitätstoleranz für sie nicht in Frage kommt, wenn jemand praktizierte Homosexualität für Sünde hält und die Segnung oder Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ablehnt. Auch bei Dietz und Faix ist keine Spur von der empfohlenen Ambiguitätstoleranz zu erkennen. Sie befürworten ja auch uneingeschränkt die Positionen, die heute von kirchlichen und staatlichen Machthabern durchgesetzt werden.
Wer dieses Buch liest, wird sich keine Illusionen mehr darüber machen können, dass es um grundlegende theologische Gegensätze mit weitreichenden Konsequenzen für unsere Gemeinden und Gemeinschaften geht. Machen wir uns nichts vor: Entscheidungen und Trennungen werden unvermeidlich sein. Ja, selber denken ist dringend geboten!
Ulrich Parzany