Dekalog: Das zweite Gebot

Dr. Christian Schwark erklärt in dieser Artikelserie die 10 Gebote (nach reformierter Zählung). Diese Artikel sind bereits bei idea erschienen.
Der Artikel wird von einer Video-Predigt von Pfarrer Schwark ergänzt.

Alle Texte dieser Serie können auch als Hardcover Buch im Lichtzeichenverlag bestellt werden.

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Das zweite Gebot: Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten. (2. Mose 20,4-6)

Es gab neben Martin Luther (1483-1546) auch die beiden anderen Reformatoren Johannes Calvin (1509-1564) und Huldrych Zwingli (1484-1531). Und so gibt es bis heute im evangelischen Bereich neben lutherischen auch reformierte Gemeinden, die sich stärker auf Calvin und Zwingli beziehen. Welche Unterschiede gibt es da? Ein Unterschied besteht bei den zehn Geboten. Luther hat das zweite Gebot in der Bibel ausgelassen. Und damit es wieder 10 Gebote sind, hat er das zehnte Gebot geteilt, also zwei daraus gemacht. Wir können viel von Luther lernen. Aber es ist doch gut, das zweite Gebot aus der Bibel nicht zu vergessen.

Wir lesen in diesem Gebot, dass Gott ein eifernder Gott ist und Missetat heimsucht. Vielleicht fragt einer: „Warum steht das gerade hier? Ist es denn so schlimm, sich Bilder von Gott zu machen?“ Schauen wir genau hin. Es geht nicht zuerst um die Bilder an sich. Es geht darum, den Bildern zu dienen. Es heißt hier: „Bete sie nicht an und diene ihnen nicht.“ Gottesbilder waren damals nicht nur einfach Gottesbilder. Sondern Gottesbilder verkörpern zugleich die Gegenwart Gottes. Das heißt, wenn man sich Gottesbilder machte, waren das nicht nur Symbole. Sondern das war sozusagen Gott selbst. Das Bild wurde selbst zum Gott. Darum diente man den Bildern. Und deshalb ist Gott hier so streng. Letztlich geht es hier um das, worum es auch schon in ersten Gebot ging: um einen Konkurrenzgott. Darum betont Gott hier, dass er ein eifernder Gott ist.

Noch etwas, das hier auffällt: Da sagt Gott, dass er heimsucht bis ins dritte und vierte Glied. Da fragt sich mancher: „Heißt das, ich werde bestraft für die Sünden der Eltern, Großeltern und Urgroßeltern? Bestraft Gott mich z.B., wenn mein Großvater Nazi war?“ Man könnte das so verstehen. Aber wir dürfen hier wie auch sonst nicht einzelne Verse aus der Bibel herauspicken. Sondern wir müssen immer gucken: Was steht sonst in der Bibel? Und da lesen wir z.B. in Hesekiel 18 ganz deutlich: Ein Sohn wird nicht bestraft für die Schuld seines Vaters. Dann jedenfalls wenn er selbst diese Schuld nicht tut. Das hilft, das zu verstehen, was hier steht. Man wird also nur bestraft für die Sünden der Vorfahren, wenn man sie selbst auch tut. Dann gibt es sozusagen einen Schuldzusammenhang. Und das gibt es ja manchmal. Wer als Kind z.B. misshandelt wird, wird auch öfter gewalttätig als andere. Dann wirkt sich die Schuld der Eltern sozusagen auf die nachfolgende Generation aus. Aber es gibt einen Ausweg: wenn wir unser Schuld bekennen. Und wenn wir uns von Jesus Vergebung zusprechen lassen. Dann sagt er uns zu: „Ich nehme deine Schuld weg. Auch alles, was an Belastungen aus deiner Vergangenheit auf dir liegt. Du bist frei.“ Mit Jesus wird bei uns das wirksam, was hier auch steht: Dass Gott an vielen Tausenden Barmherzigkeit erweist.

Dieser barmherzige Gott möchte aber nun nicht, dass wir uns Bilder von ihm machen. Wir sahen schon, dass es hier nicht darum geht, dass es keine Bilder als Symbole geben darf. Das Problem fängt da an, wo ein Bild mehr ist als ein Symbol. Wo man einem Bild selbst irgendwelche Kräfte zuschreibt. Dann können selbst die besten Dinge zum Götzen werden. Ich kenne z.B. eine Frau, die sagt: „Immer wenn ich mir die Bibel auf den Bauch lege, geht es mir besser.“ Ich frage sie: „Liest du denn auch in der Bibel?“ „Das brauche ich nicht“, sagt sie dazu. Da frage ich mich schon: Wird hier die Bibel als Buch zu einer Art Götzen? Zu einem Bild von Gott, könnte man auch sagen. Natürlich ist es gut, eine Bibel zu haben. Aber das Wichtigste ist doch, dass wir in ihr lesen. Die bedruckten Seiten an sich haben keine besondere Wirkung. Entscheidend ist, dass wir auf Gottes Wort hören und diesem Wort vertrauen. Wenn das jemand tut, kann er sich meinetwegen auch die Bibel auf den Bauch legen. Aber wenn das das Wichtigste ist, wird es schief. Das Gleiche kann es auch bei bestimmten Orten und Gebäuden geben. Z.B. bei einer Kirche. Natürlich ist es schön, wenn wir mit einer Kirche etwas verbinden. Wenn wir z.B. sagen: „In dieser Kirche wurde ich konfirmiert.“ Oder: „In dieser Kirche hat Gott schon oft zu mir gesprochen.“ Mit einer solchen Einstellung höre ich dann anders zu, wenn ich in dieser Kirche bin. Und kann immer wieder erleben, wie Gott mich anspricht. Es kann auch sein, dass ich einen Ort in der Wohnung oder im Haus habe, wo ich gerne mit Gott Gemeinschaft habe. Meine Frau und ich haben z.B. auf dem oberen Treppenabsatz einen kleinen Tisch und einen Stuhl, wo eine Bibel liegt. Da lese ich gerne den jeweiligen Tagestext aus der Bibel und bete. Orte und Gebäude können also eine Hilfe sein. Aber sie können auch überbewertet werden. Dann, wenn wir meinen, Gott wäre an einen Ort gebunden. Oder wenn wir meinen, eine Kirche oder ein andere Ort wäre per se irgendwie heilig. Als ob Steine, die in einer Kirche verbaut wären, heiliger wären andere Steine. Wenn ich einen bestimmten Ort wie z.B. eine Kirche für heilig erkläre, heißt das: Andere Orte sind nicht so heilig. Da ist Gott weniger da. Das Ergebnis: Man kommt schnell dahin, das Leben aufzuteilen. In einen frommen und einen nicht frommen Teil. Sonntags, wenn ich in der Kirche bin, bin ich fromm. Dann bin ich Gott nahe. Und während der Woche, wenn ich nicht in der Kirche bin, lebe ich mein sonstiges Leben. Und frage eben nicht so sehr nach Gott. Ich bin ja nicht in der Kirche. Wir sehen: Wenn ich Orte oder Gebäude zu einem Bild von Gott mache, schadet das dem Leben mit Gott. Gottes Gebot hat seinen guten Sinn. Noch etwas, wo gute Dinge zu einer Art Götze werden können: Taufe und Abendmahl. Natürlich hat niemand etwas gegen Taufe und Abendmahl. Aber auch hier kann die bloße Handlung zu einer Art Götzenbild werden. Wie? Dann, wenn man meint, die bloße Handlung reicht schon. Wenn man z.B. sagt: „Wer getauft ist, ist Christ und hat das ewige Leben. Egal ob er glaubt oder nicht.“ Oder wenn einer zum Abendmahl geht und denkt: Durch das Abendmahl werden mir alle meine Sünden vergeben. Aber in Wirklichkeit ist er oder sie gar nicht bereit, etwas an seinem oder ihrem Leben zu ändern. Wenn wir so mit Taufe und Abendmahl umgehen, verstoßen wir auch gegen das Bilderverbot. Dann meinen wir, Gott ist einfach in irgendwelchen Elementen. Der Glaube fällt dann unter den Tisch. Das gefällt Gott gar nicht. Dann gibt es noch so etwas wie Engelchen oder sonstige Figuren. Die man sich z.B. ins Auto hängt und meint: Dann bin ich vor Unfällen geschützt. Auch eine Art modernes Gottesbild.

Wir können fragen: Gibt es falsche Gottesbilder auch in meinem Leben? Gott kann mich davon frei machen. Manchmal indem er mir sagt: „Verzichte ganz auf das Bild.“ Manchmal auch indem er mir sagt: „Mach dir klar, dass ich immer mehr bin als alle Bilder. Mehr als alles, was du sehen und anfassen kannst.“ So kann uns das Bildergebot neu zeigen, wie groß Gott ist. Und wir können neu staunen über ihn.

Neben den sichtbaren Gottesbildern gibt es auch unsichtbare Gottesbilder. Dinge, die wir uns über Gott vorstellen. Mancher denkt z.B.: Gott ist ein Gott der Liebe. Da kann er doch nicht zulassen, dass irgendjemand in die Hölle kommt. Also können die Bibelstellen, die das sagen, nicht stimmen. Der Philosoph Ludwig Feuerbach (1804-1872) hat genau das den Christen vorgeworfen. Er meinte, die Christen wünschen sich, dass Gott so ist, wie sie wollen. Und dann glauben sie an ihr eigenes Wunschbild von Gott. In Wirklichkeit gibt es diesen Gott natürlich gar nicht. Statt „Er schuf den Menschen nach seinem Bilde“ heißt es bei Feuerbach: „Der Mensch schuf sich einen Gott nach seinem Bilde“. Hat Feuerbach recht? Das kommt auf uns an. Es kann tatsächlich sein, dass unsere Gottesvorstellung nur eine Wunschvorstellung ist. Dann wenn wir meinen: Gott muss so sein, wie ich ihn mir vorstelle. Wie ich ihn gerne haben möchte. Dann ist Gott nichts anderes als mein Gottesbild. Und dann habe ich genau ein Gottesbild wie einer, der irgendwelche heiligen Figuren anbetet. Das Bilderverbot trifft bei unsichtbaren Bildern genauso wie bei sichtbaren. 

Darum die Frage: Wie ist mein Bild von Gott? Ist es ein Bild, das ich mir selbst zurechtzimmere? Oder ist es das Bild, das Gott selbst uns gibt? Gott hat uns nämlich selbst ein Bild von sich gegeben. Wissen Sie, wie dieses Bild aussieht? Dieses Bild ist Jesus. Paulus schreibt in Kolosser 1,15 über Jesus: „Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes.“ Das heißt: Von uns aus wissen wir nicht, wie Gott aussieht. Wir können uns gar kein Bild von ihm machen. Aber Gott hat sich uns vorgestellt. Durch Jesus. Und von Jesus wissen wir nur durch die Bibel. So sagt es auch eine neuere Bekenntnisschrift, die Barmer Theologische Erklärung. In der ersten These heißt es: „Jesus Christus, wie er uns in der heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und in Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“

Darum: Lassen wir unser Gottesbild immer wieder in Frage stellen durch die Bibel! Und das brauchen wir immer wieder: Calvin nennt den Menschen eine „Götzenfabrik, die ständig in Betrieb ist.“ D.h. ständig stellen wir uns Gott vor, wie wir ihn gerne hätten. Und sagen dann, wenn er anders ist: „An einen solchen Gott kann ich nicht glauben.“ Zu dem Jugendpfarrer Wilhelm Busch (1897-1966) in Essen kam einmal ein Mann und sagte ihm: „Ich werde ihrem lächerlichen Gott sagen: ‚Du hast gewusst, dass Kinder verhungern, während andere alles haben und hast nichts getan! Du hast Kriege zugelassen, in denen Unschuldige leiden mussten, und die Schuldigen brachten lachend ihr Schäfchen ins Trockene. Du hast geschwiegen zu all dem Jammer, dem Unrecht, der Bedrückung, der Ausbeutung!’ Ja, das alles will ich ihrem Gott mal unter die Nase reiben…und zu ihm sagen. ‚Du Gott! Hinweg! Herunter von deinem Thron! Hau ab!’“ Darauf Busch: „Gut! Ich werde mitrufen zu diesem Gott. Herunter von deinem Thron! Hau Ab! … Sehen sie mal, ein Gott, der sich von ihnen so antrompeten lässt, müsste ja wirklich ein lächerlicher Gott sein. Nein! Den gibt es nun wirklich nicht. Ein Gott, vor dem sie als Richter stehen und er ist der Angeklagte… da kann ich nur sagen. Hinweg mit diesem Gott!“ (zitiert nach Wilhelm Busch: „Jesus unser Schicksal“) Diese kleine Begebenheit von Wilhelm Busch zeigt uns: Den Gott, den wir uns vorstellen, gibt es gar nicht. Wir glauben dann nicht an den wahren Gott. Sondern nur an einen Phantasiegott. Davor will Gott uns durch das Bilderverbot bewahren. Indem er uns zeigt: „Ich bin ganz anders als du es dir vorstellst.“ Und das heißt auch: „Ich kann viel mehr als du dir vorstellt.“ Wenn wir uns selbst Gottesbilder machen, beschränken wir Gott auf das, was wir uns vorstellen können. Dann sagen wir z.B.: „Tot ist tot. Das kann doch gar nicht sein, dass einer wieder lebendig wird.“ Gottes Wort aber zeigt uns: Gott kann den Tod überwinden. Durch Jesus. Wie schön, dass Gott größer ist als unsere Gottesbilder!