Billy Graham: „Die Bibel sagt…“
Klar und verständlich, mit Liebe, Leidenschaft und nicht ohne Humor hat er Millionen Menschen in der ganzen Welt die Botschaft von Jesus Christus, dem Retter und Herrn, verkündet. 1946 begann der in Charlotte (North Carolina) geborene Pastor in öffentlichen Veranstaltungen zu predigen. Eine Zeltevangelisation 1949 in Los Angeles (Kalifornien) war für drei Wochen geplant, musste aber auf acht Wochen verlängert werden. Die Menschen strömten Abend für Abend in das überfüllte Zelt. Die Medien wurden auf Graham aufmerksam und machten ihn bekannt.
1950 gründete er die Billy Graham Evangelistic Association, um seine Dienste gründlich vorbereiten und nacharbeiten zu können. Diese Dienste führten ihn bald über die Grenzen der USA hinaus. 1954 wurde eine Evangelisationsveranstaltung in London auf zwölf Wochen ausgedehnt und mit einer Schlussversammlung im vollen Wembley-Stadion abgeschlossen. 1957 waren sechs Wochen in New York geplant, die auf 16 Wochen ausgedehnt werden mussten.
Billy Graham in Deutschland
Schon 1954 kam Billy Graham zum ersten Mal nach Deutschland und predigte in Berlin, Düsseldorf und Frankfurt. 1955 evangelisierte er in Dortmund, Frankfurt, Mannheim, Nürnberg und Stuttgart. Ich hörte ihn 1960 in meiner Heimatstadt Essen. Das riesige Zelt stand im „Montagsloch“, einem Stadion, dessen Ränge aus den Trümmern der zerbombten Stadt Essen aufgeschüttet worden waren. Im gleichen Jahr evangelisierte er auch in Berlin und Hamburg. 1963 folgten Nürnberg und Stuttgart. 1966 West-Berlin.
Bei der „Euro 70“ wurden die Abendveranstaltungen mit Grahams Predigten aus der Westfalenhalle in Dortmund mit Bild und Ton über Leitungen – Satellitenübertragung war noch nicht möglich – in 35 europäische Städte übertragen. 1976 predigte Billy Graham beim Jugendkongress Christival 76 am Pfingstsonntag im Essener Gruga-Stadion.
1982 hatte er Gelegenheit, in Kirchen in Ost-Berlin, Dresden, Görlitz, Stendal, Stralsund und Wittenberg zu sprechen. Seine Dienste in den Ostblockstaaten wurden misstrauisch beäugt. War er zu freundlich mit den kommunistischen Machthabern? In seiner Autobiographie schrieb er auch über seine Erfahrungen in DDR, über die Offenheit der Menschen für das Evangelium, aber auch über einen frostigen Empfang auf der Landessynode der Lutherischen Kirche in Sachsen.
Nach dem Mauerfall sprach er 1990 vor dem Reichstag in Berlin. Danach begannen die Vorbereitungen für ProChrist 1993. Die Einladung von Billy Graham wurde von den Bischöfen Theo Sorg, Stuttgart, und Martin Kruse, Berlin, angeregt. Der deutsche Zweig der Lausanner Bewegung unter Leitung von Horst Marquardt und Rolf Scheffbuch hat dann die Einladung an Graham ausgesprochen. Sie wurde angenommen. Wir bildeten einen Trägerverein, dem vorzusitzen ich die Ehre hatte. Die Mitarbeiter der Billy-Graham-Gesellschaft berichteten uns von den guten Erfahrungen, die sie in England und Schottland mit der Live-Übertragung über Satellit aus einer Zentralveranstaltung an viele Orte gemacht hatten. Das war eine europäische Erfahrung. In den USA ist dieses Übertragungssystem wegen der total anderen Fernsehkultur nie praktiziert worden. Die fünf Abende wurden von Essen aus in über 40 Sprachen in viele Zeitzonen ausgestrahlt.
Zur Würdigung des Dienstes von Billy Graham gehört auch, zu erwähnen, dass er die Fähigkeit hatte, ausgezeichnete und loyale Mitarbeiter für sein Team zu finden. Blair Carlson, Larry Turner und Dr. David Bruce unterstützten unsere Arbeit mit großer Sachkenntnis und hoher Sensibilität. Wir wollten zwar den amerikanischen Evangelisten, aber ein Programm, das den europäischen Bedingungen entsprach. Auf einer Autofahrt von Erfurt zur Synode der EKD in Suhl (Thüringen) besprach ich mit Billy Graham alle Fragen der Programmgestaltung und fand bei ihm völlige Bereitschaft, sich auf unsere Vorschläge einzulassen. Manche hatten vorher behauptet: Die Amerikaner machen schließlich doch alles so, wie sie es für richtig halten. Ich aber habe Billy Graham als einen sehr bescheidenen, sensiblen und seelsorgerlichen Menschen erlebt.
„Die Bibel sagt…“
Immer wieder kam in den Ansprachen von Billy Graham der Satz vor „Die Bibel sagt…“. Das kam bei Theologen, die von der Bibelkritik geprägt waren, gar nicht gut an. Aber ich bin überzeugt, dass ein Teil des Geheimnisses der Vollmacht seiner Verkündigung in der festen Überzeugung lag: Die Bibel ist das vertrauenswürdige Wort Gottes. Er hat immer wieder berichtet, dass er als junger Prediger mit vielen Zweifeln gerungen hat und schließlich die Entscheidung getroffen hat, die Bibel als Gottes Wort anzuerkennen. Der spöttische Hohn kritischer Theologen war ihm seitdem sicher.
Wenn wir heute fragen, ob es ein Vermächtnis seines Jahrhundertdienstes gibt, dann ist es sicher dies: Die Vollmacht zur Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus ist im Vertrauen zur Bibel als dem geoffenbarten Wort Gottes begründet.
In seiner Autobiographie schrieb Graham: “Ein Evangelist ist ein Mensch, der von Gott berufen und besonders ausgerüstet wurde, um die gute Nachricht zu verkünden – den Menschen, die diese Nachricht noch nicht kennen. Er fordert sie auf, zu Jesus Christus umzukehren, an ihn zu glauben und ihm nachzufolgen.“[1] Wir kennen Jesus nur durch die Bibel. Alles hängt davon ab, dass die Berichte der Bibel vertrauenswürdig sind. Die Verkündigung in den Kirchen verkommt, wenn die Prediger kein Vertrauen in die Bibel als Gottes Wort haben. Und der Evangelisation wird durch die Bibelkritik die Grundlage entzogen. Ein Evangelist darf und muss sich auf die Zusage von Jesus verlassen: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“ (Lukas 10,16)
Der Ruf nach vorn
Am Schluss seiner Predigten rief Graham die Menschen auf, ihre Antwort auf die gehörte Einladung zu geben, indem sie nach vorne kamen und ein Anfangsgebet mit ihm beten. Dank für die Liebe Gottes in Jesus, Bekenntnis der Sünde, Bitte um Vergebung und Veränderung des Lebens und die Entscheidung, Jesus nachzufolgen, war der Inhalt dieses Gebetes. Dieser Aufruf war in den evangelischen Kirchen sehr umstritten.
Ich habe als junger Pfarrer die Kritik geteilt und diese Art Aufruf abgelehnt. Dann aber war ich bei der „Euro 70“ in Dortmund in der Seelsorge beteiligt. Ich erlebte an einem Abend, dass ein Ehepaar zum Glauben an Jesus kam und der Einladung Grahams folgte. Sie wollten sich scheiden lassen. Der Scheidungsprozess stand kurz vor dem Abschluss. Sie waren in die Westfalenhalle gekommen, ohne voneinander zu wissen. Sie trafen sich im Seelsorgebereich. Ich erlebte mit, wie zwei völlig zerstrittene Menschen mit Gott und miteinander versöhnt wurden. An diesem Abend sagte ich mir: Wer bin ich, dass ich eine Methode kritisiere, die Gott so wunderbar gebraucht.
Es hat noch einige Jahre gedauert, bis ich diese Art von Aufruf selber mit Freude und Überzeugung praktiziert habe. Noch am Pfingstsonntag 1976 habe ich als Vorsitzender des Christival 76 verhindert, dass Billy Graham nach seiner Predigt im Gruga-Stadion in Essen einen solchen Aufruf machte. Ich fand es in einem Gottesdienst nicht angemessen. Meine Borniertheit tut mir heute noch leid. Vielen von den 40.000 Teilnehmern dieses Pfingstgottesdienstes hätte eine Einladung Grahams zu einer erkennbaren Entscheidung sicher geholfen.
Zusammen Jesus Christus verkünden
Wie kein anderer hat Billy Graham dazu geholfen, dass die unterschiedlichen Kirchen und Gemeinden in der öffentlichen Verkündigung des Evangeliums zusammengearbeitet haben. Ich bin selber Zeuge gewesen, wie er 1992 auf der Synode der EKD in Suhl, Thüringen, und dann in einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der römisch-katholischen Bischofskonferenz um Zusammenarbeit geworben hat. Er wollte keine eigenen Gemeinden gründen, er wollte den Kirchen und Gemeinden dienen, ihren missionarischen Auftrag zu erfüllen.
Der damalige Präses der EKD-Synode, Dr. Jürgen Schmude, hatte Graham eingeladen, vor der Synode zu sprechen. Dr. Schmude drückte auch seine hohe Wertschätzung für den Dienst von Billy Graham aus. Der sprach dann in Englisch ohne Übersetzer. Die deutsche Übersetzung war den Synodalen schriftlich vorgelegt worden. Trotz dieser Einschränkung machten Grahams Wort einen starken Eindruck. Ich staunte, wer von den Kirchenleitern nachher zum Mittagessen mit Graham ins Hotel kam. Die persönliche Begegnung hatte viele Kritiker überrascht und überzeugt. Die ganze Wahrheit ist allerdings, dass manche von denen, die ihre Sympathie für den Evangelisten ausdrückten, später, nachdem sie seine Predigten gehört hatten, nicht mehr so freundlich gestimmt waren.
Graham hatte auch darauf bestanden, mit der Römisch-katholischen Kirche zu sprechen. Das hat nicht allen im evangelikalen Bereich gefallen. Es gab ein sehr gutes Gespräch in Mainz mit dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann.
Graham hatte keine Berührungsängste. Über den Inhalt seiner Verkündigung hat er mit niemandem gefeilscht. Auch das sollte uns das Vermächtnis dieses Evangelisten sagen: Wir werden die Massen der gottvergessenen Menschen in Europa nur mit dem Evangelium erreichen, wenn möglichst viele Christen der verschiedenen Konfessionen gemeinsam die Evangelisation mittragen. Wir müssen die Unterschiede nicht verleugnen. Es geht nicht darum, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Unsere gemeinsame Überzeugung muss sein, dass der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus allein der Retter für alle Menschen ist. Ihn bekanntzumachen und die Menschen in seine Nachfolge zu rufen, muss uns so vordringlich wichtig sein, dass wir die zweitwichtigen Lehrunterschiede ertragen können.
Impulse für die Christenheit
Billy Graham hat die Verantwortlichen der Christenheit weltweit durch die von ihm angeregten und ermöglichten Weltkonferenzen für Evangelisation in Berlin 1966, Lausanne 1974 und weitere danach miteinander vernetzt. Besonders Lausanne 1974 hatte eine starke Wirkung bis heute. Unter dem Leitwort „Lasst die Erde Seine Stimme hören“ versammelte der „Internationale Kongress für Weltevangelisation“ 2.473 offizielle Delegierte aus 150 Ländern. Die dort verabschiedete Lausanner Verpflichtung hatte eine starke missionstheologische Wirkung in die Kirchen hinein. Billy Graham hatte den englischen Theologen John Stott als leitenden Kopf dieser Konferenz gewonnen.
Sehr wichtig war zum Beispiel die Erklärung, dass Evangelisation und Soziale Verantwortung zum Gesamtauftrag von Gottes Mission gehören. Wichtig ist aber bis heute auch die Unterscheidung, dass soziale Dienste nicht Evangelisation sind und auch Evangelisation nicht ersetzen. John Stott sprach von den beiden Flügeln, ohne die kein Vogel fliegt. Heute aber muss wieder in Erinnerung gerufen werden, dass Evangelisation nicht unter dem Vorwand einer vermeintlich ganzheitlichen Mission in den sozialen Diensten verschwinden darf. Das ist gerade in der evangelikalen Welt in Mode gekommen.
Ja, Billy Grahem war ein Impulsgeber für weltweite missionarische Arbeit der Christenheit mit einem breiten Missionsverständnis. Aber ihm war auch nach Lausanne 1974 sehr wichtig, dass die evangelistische Verkündigung durch Evangelisten nicht durch viele andere breit angelegte Methoden des Dienstes verdrängt wurde.
Förderung von Evangelisten weltweit
Graham war und ist durch seine persönliche Integrität und Glaubwürdigkeit uns allen, die wir in der Evangelisation arbeiten, ein Vorbild. Aber er hat mit seiner BGEA viel zur Förderung von Evangelisten in aller Welt getan.
1983 fand in Amsterdam die „1. Internationale Konferenz für Evangelisten” mit 4.000 Evangelisten aus 133 Ländern statt. Bereits 1986 fand die „2. Internationale Konferenz für Evangelisten” in Amsterdam mit ca. 8.000 Teilnehmern statt. Ich hatte selber das Vorrecht, auf der „3. Internationalen Konferenz für Evangelisten” mit 10.000 Teilnehmern in Amsterdam zu sprechen.
Der Artikel 4 der Lausanner Verpflichtung darf nicht in Vergessenheit geraten: „Evangelisieren heißt, die gute Nachricht zu verbreiten, dass Jesus Christus für unsere Sünden starb und von den Toten auferstand nach der Schrift und dass Er jetzt die Vergebung der Sünden und die befreiende Gabe des Geistes allen denen anbietet, die Buße tun und glauben.“
Kritik von allen Seiten
Graham wurde von den einen als Fundamentalist kritisiert. Die Fundamentalisten haben ihn als Verräter und Kompromissler kritisiert, weil er die Zusammenarbeit mit Christen aller Konfessionen suchte. Dabei hat er in seiner Verkündigung des Evangeliums inhaltlich nichts preisgegeben. Ich habe eine Pfarrerversammlung mit etwa 500 Pfarrern in Dortmund 1970 miterlebt. Bösartige Kritik wurde aggressiv vorgetragen. Graham hörte sie geduldig an und hat sie ruhig, humorvoll, manchmal ironisch beantwortet.
Ich habe Billy Graham 1993 in Essen aus der Nähe erlebt. Er litt schwer unter seiner Parkinson-Krankheit. Wir zitterten jeden Tag, ob er wohl abends predigen könnte. Er kam in Schwachheit und predigte in Vollmacht. Selten habe ich eine so starke Veranschaulichung des Wortes aus 2.Korinther 12,9 erlebt: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Ich danke Gott für den Dienst von Billy Graham.
Ulrich Parzany
[1] Billy Graham, So wie ich bin, 1998, S. 15