Eine Bekenntnisökumene ist nötig
Dr. Rolf Hille, Heilbronn, schreibt in einem Gastkommentar für kath.net:
Die Evangelische Landeskirche in Württemberg hat bei ihrer Frühjahrstagung als letzte protestantische Großkirche in der EKD Segnungsgottesdienste für homosexuelle bzw. lesbische Paare beschlossen. Sie hat damit den ökumenischen Konsens aller christlichen Kirchen seit dem 1. Jahrhundert bis zum heutigen Tag verlassen. Statt die Gegensätze zwischen den Konfessionen zu überwinden, werden damit neue Gräben aufgerissen.
Auch innerprotestantisch wirkt diese Entscheidung verheerend. Die württembergische Landeskirche praktiziert als einzige Gliedkirche der EKD das sogenannte „Urwahlprinzip“, d.h. die Synodalen werden direkt von den Kirchenmitgliedern ihres Wahlkreises bestimmt. Da die württembergische Kirche stark von der Tradition des Pietismus (18. Jahrhundert) und der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts geprägt ist, sind lebendige Gemeinden und konservative theologische Positionen bisher in ihr nachhaltig wirksam. Die konservativ pietistische Synodalgruppe Lebendige Gemeinde hat mit 43 von 90 Mandatsträgern eine beachtliche Mehrheit. Desto erschreckender ist die Tatsache, dass viele von ihnen der Gesetzesvorlage zugestimmt haben.
Nun begründet die Synode ihre Abstimmung gegen das biblische Wort mit dem Gebot zur Einheit der Kirche. Man will deshalb gleichberechtigt widersprüchliche Auslegungen der Heiligen Schrift anerkennen.
Es wäre redlich, wenn die Befürworter der Homotrauung bzw. -segnung eingestehen, dass die Entscheidung, die sie getroffen haben, sich nicht auf die Bibel berufen kann. Sie gehen stattdessen vom modernen gesellschaftlichen Vorverständnis der „Ehe für alle“ aus. Sie müssten jedoch die Fairness und den Mut aufbringen zu sagen, wir sehen uns nicht mehr an die Schöpfungsordnung (1. Mose 1+2) gebunden, obwohl Jesus immer wieder auf diese Schöpfungsordnung hingewiesen hat und er von der Polarität von Mann und Frau ausgeht. Denn gerade in der Gemeinschaft der Ehe kommt die Gottesebenbildlichkeit des Menschen als Mann und Frau eindeutig zum Ausdruck. Sodann müssten sie eingestehen, dass das sogenannte Heiligkeitsgesetz, das Gott durch den Sinai-Bund seinem Volk Israel gegeben hat, im Blick auf die Sexualethik nicht mehr gilt. In 3. Mose 18,22 wird nämlich Homosexualität strikt verboten: „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.“ Das Apostelkonzil hat die entsprechende Weisung der Thora auch für die christliche Gemeinde als verbindlich unterstrichen (Apostelgeschichte 15,29). Schließlich müssen sich die Befürworter auch von den Aussagen des Apostels Paulus im Römerbrief distanzieren. Dort lehnt der Völkerapostel die im Hellenismus seiner Zeit weit verbreitete Homophilie scharf ab. In Analogie zum falschen Götzendienst argumentiert der Apostel: „Darum hat Gott sie in den Begierden ihrer Herzen dahingegeben in Unreinheit, so dass ihre Leiber durch sie selbst geschändet werden… Denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen. Desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihrer Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.“ (Römer 1,24.26.27)
Die Befürworter der Segnung homophiler Paare müssten einfach ehrlich genug sein zu sagen: die Schöpfungsordnung, das alttestamentliche Heiligkeitsgesetz und die Position des Paulus stimmen nicht mit den Einsichten der modernen Sozialpsychologie überein. Deshalb vertreten wir in Fragen der Segnung Homosexueller eine neue Sichtweise, der wir uns anschließen. Dann wüsste wenigstens jeder, wie er dran ist.
Wenn sich die Synodalen in ihrer Diskussion dennoch auf die Schrift bezogen haben, so hat dies offensichtlich mehr taktische als theologische Gründe. Man gibt schlicht und einfach den Erfordernissen des Zeitgeistes nach und weicht deshalb von der biblischen Haltung ab. Es ist aber unehrlich zu behaupten, dass sich die Forderung nach der Segnung Homophiler einer neuen Erkenntnis des biblischen Befundes verdankt. Es sind vielmehr die ganz andersartigen Einstellungen der modernen Gesellschaft, die hier ausschlaggebend geworden sind.
In diesem Zusammenhang muss allerdings eine wichtige Unterscheidung bedacht werden. Neben den lehrmäßigen Aspekten zur Homosexualität gilt es, die seelsorgerische Verantwortung festzuhalten. Das Verbot homophiler Praxis darf nicht zur Diskriminierung gleichgeschlechtlich empfindender Menschen führen. Männer und Frauen, die homophil orientiert sind, haben in der christlichen Gemeinde, die ja eine Gemeinschaft begnadigter Sünder ist, einen festen Platz. Sie haben vor allem das Recht auf Begleitung und sollen spüren, dass man ihre Problematik versteht. Sie brauchen den Zuspruch der Vergebung Gottes und die Fürbitte. Die seelsorgerische Zuwendung darf aber nicht gegen die ethische Weisung ausgespielt werden. Seelsorge und rechte Lehre gehören zusammen. Großer Schade entsteht, wenn beides als Gegensatz aufgefasst wird. Seelsorgerische Hilfe und lehrmäßige Wahrheit sind zwar zu unterscheiden, aber sie dürfen nicht getrennt werden.
Die württembergische Landessynode reklamiert indes, dass das biblische Wort nicht eindeutig sei und deshalb müssten auch gegensätzliche Auslegungen respektiert werden: „Diese Auslegungsgemeinschaft stellt sicher, im gemeinsamen Hören und Antworten, im Austausch über verschiedene Wahrnehmungen und im Wissen um die Folgen für das Handeln der christlichen Kirche unterschiedliche Auslegungen der Bibel gegenseitig respektieren zu können. Überliefert ist nach der Heiligen Schrift und den Bekenntnissen der Reformation der Charakter der Ehe von Mann und Frau als weltlich Ding und göttlicher Stand. Die Auslegung von Schriftstellen im Alten Testament (Lev 18,22; 20,13) und im Neuen Testament (Röm 1,24-27), die sich auf gleichgeschlechtliche Liebe beziehen, ist uneinheitlich. Über die Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Begleitung zweier Menschen gleichen Geschlechts durch die Kirche anlässlich der bürgerlichen Eheschließung besteht Streit, ohne dass dieser die Einheit der Kirche in Christus in Frage stellt. Um dieser Einheit willen ergeht im Bewusstsein, dass angesichts unterschiedlicher Zugänge zur Bibel in dieser Frage gegenwärtig kein Konsens hergestellt werden kann, nachfolgende Ordnung, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt und diese wahrt.“
Hier werden zwei fundamentale Schwachstellen des postmodernen Protestantismus in der Gegenwart deutlich. Zum einen wird der „Magnus consensus“, also die große Übereinstimmung und Einheit der Kirche herausgestellt, allerdings unter Ausblendung der vehementen Kritik bibelgebundener Kreise und Gruppen in der Kirche. Diese sind ganz wesentlich als haupt- und ehrenamtliche Mitglieder aktiv. Ihr Verlust bzw. ihre innere Emigration aus der Kirche hat zunehmend fatale Folgen.
Zum anderen ist das reformatorische Schriftprinzip, dass nämlich die Bibel sich selbst auslegt und in sich klar verständlich ist (Klarheit der Schrift) aufgegeben. Die Kirche zerfällt letztlich in inhaltlich höchst widersprüchliche Auslegungsgemeinschaften, die lediglich durch das juristische Dach der gemeinsamen Kirchenorganisation zusammengehalten werden.
Katholischerseits gilt, dass durch das Lehramt der Papst in Gemeinschaft mit den Bischöfen für die richtige und angemessene Auslegung der Schrift sowie deren dogmatische bzw. ethische Entfaltung zuständig ist. Demgegenüber zerfällt der Protestantismus in kontroverse Auslegungskartelle, in denen jede Gruppe mit großer Beliebigkeit das herausstellen kann, was sie angesichts des Zeitgeistes für angemessen hält.
Jeder, dem die Ökumene ernsthaft am Herzen liegt, muss mit Erschrecken feststellen, dass die evangelischen Landeskirchen dort, wo es um Liberalisierung im Sinne des Zeitgeistes geht, die Modernisierung der ökumenischen Gemeinschaft vorziehen.
Angesichts dieser Tatsache wird eine Bekenntnisökumene desto dringender, nämlich der Zusammenschluss bewusster in der Nachfolge Christi stehender katholischer, orthodoxer und evangelischer Christen, die an der Verbindlichkeit der Heiligen Schrift festhalten und die durch alle Jahrhunderte der weltweiten Kirche sich durchziehende ethische Grundüberzeugung festhalten. Hier werden die bekennenden Gruppen im evangelischen Raum zunehmend auf die Gemeinschaft und Stärkung durch Schwestern und Brüder aus den anderen Kirchen angewiesen sein
Prof. Dr. Rolf Hille, geb. 1947, ist verheiratet und hat drei Kinder. Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Promotion mit einer systematisch-theologischen Arbeit über Karl Heim. Von 1989-1995 Studienleiter am Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen, 1995-2009 dessen Rektor. 1993-2013 Vorsitzender des AfeT; 1996-2008 Vorsitzender der Theologischen Kommission der World Evangelical Alliance; 2009-2013 Leitung und Aufbau der Doktorandenarbeit des Albrecht-Bengel-Hauses; 2008-2016 Direktor für ökumenische Angelegenheiten der WEA. Seit 2013 Honorarprofessor an der FTH Gießen. Mitglied der Fortsetzungsgruppe des Netzwerks Bibel und Bekenntnis