Ausbildung durch den auferstandenen Jesus ist nötig
Ulrich Parzany empfiehlt Dallas Willards Buch “GOTT – Du musst es selbst erleben“. –
Wie kann man Christen davon überzeugen, dass sie dicke Bücher lesen? Ich wünsche mir, dass viele denkende Christen das Buch von Dallas Willard „GOTT – Du musst es selbst erleben“ lesen. Es ist 2022 auf Deutsch im Fontis-Verlag Basel erschienen. Roland Werner nennt das Buch einen „geistlichen Klassiker“. Es wurde schon 1997 in den USA unter dem Titel „THE DIVINE CONSPIRACY – Rediscovering Our Hidden Life in God“ veröffentlicht. Verständlich, dass man in Zeiten von jeder Menge Verschwörungstheorien mit einem Titel wie „Die göttliche Verschwörung“ nur Verwirrung stiften könnte. Also heißt die deutschsprachige Ausgabe „GOTT – Du musst es selbst erleben“.
Vorbehalte?
Aber Gott ist kein „Es“, sondern ein „Du“. Und geht es beim Erleben um die Befriedigung von Erlebnishunger in der Eventkultur? Ich hatte also einige Vorbehalte, als ich das Buch aufschlug. Aber es geht in diesem Buch um das reale Leben in der Nachfolge Jesu. Darum empfehle ich es.
Hauptaussagen kurz und knapp
Ich beschreibe die Hauptaussagen dieses Buches mit meinen Worten so: Wir bekommen das ewige Leben geschenkt, wenn wir dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus vertrauen. Wir werden damit in das Reich der Himmel, die Königsherrschaft Gottes, versetzt. Nun geht es darum, als Auszubildende des Jesus Christus auf ihn, den Lehrer, zu hören und zu tun, was er sagt. Jesus lehrt uns nicht nur durch Gebote, sondern er schafft im „Reich Gottes Mitten Unter Uns“, dass wir tun wollen und können, was er uns lehrt. „Reich Gottes Mitten Unter Uns“ – diesen Ausdruck in dieser Schreibweise benutzt Willard im Anschluss an Jesu Wort (Lukas 17,21).
In einer originellen Auslegung der Bergpredigt (Matthäus 5 – 7) zeigt Dallas Willard, dass kein Wort der Bergpredigt richtig zu verstehen ist, wenn man nicht dem Bergprediger Jesus vertraut. Mit der Seligpreisung der Armen (Matthäus 5,3) fängt es an, weil das Reich Gottes uns geschenkt wird, nicht erarbeitet oder gekauft werden kann. Aber weil der auferstandene Lehrer Jesus Christus in uns schafft, was er uns sagt, bauen wir nur dann unser Lebenshaus auf Felsenfundament, wenn wir seine Worte hören und auch tun. (Matthäus 7,24ff) Der Lehrauftrag kommt vom auferstandenen Herrn Jesus Christus, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden. Er lehrt seine Jünger und beauftragt sie nun, alle in den dreieinigen Gott Getauften halten zu lehren, was Jesus ihnen befohlen hat. (Matthäus 28,18 – 19)
Was normalerweise als „Abschiedsreden Jesu“ bezeichnet wird – Johannes 14 – 17, bezeichnet Dallas Willard als „Antrittsreden Jesu“. Darin beschreibt Jesus nämlich, wie er nach seiner Kreuzigung und Auferstehung durch den Heiligen Geist sein Werk als Lehrer seiner Jünger ausübt.
Wer wird kritisiert?
Willard kritisiert einen Glauben, der wohl orthodox von Kreuz, Auferstehung und Vergebung der Sünden redet, aber die Umgestaltung des Lebens in der Ausbildung durch den lebendigen Lehrer Jesus Christus ausblendet. Er kritisiert auch einen Glauben, der die Auferstehung Jesu leugnet und mit Hilfe einer Sozialethik die sozialen Schäden der Gesellschaft beheben will.
Ein Lehrplan für die Ausbildung?
Eigentlich geht es in dem ganzen Buch um ein biblisch angemessenes Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung. Willard behandelt die Problematik auf dem Hintergrund angelsächsischer Frömmigkeit und Theologie und schreibt weniger in Auseinandersetzung mit kontinentaleuropäischen Traditionen. Das mag mancher als verwirrend empfinden. Ich habe die Lektüre aber als inspirierend erlebt. „Es geht darum, jetzt von ihm [Jesus] im Reich-Gottes-Leben ausgebildet zu werden.“ (S.23)
Dallas Willard schreibt sein 9. Kapitel provozierend praktisch, aber sehr hilfreich unter der Überschrift „Ein Lehrplan für die Ausbildung: Wie wir Jesus ähnlich werden können“. (S. 527ff)
Seele? Himmel? Was ist das?
Dallas Willard schreibt als Philosoph und deckt auf, dass auch wir Christen von heute herrschender Weltanschauung geschwächt sind.
Erstens: Wir sprechen nicht verständlich genug von unserem Ich, unserer nichtgegenständlichen Person, die wohl mit unserem Körper verbunden ist, aber von Gott geschaffen wurde und bleibt, wenn wir leiblich sterben. Der Mensch ist durch den Schöpfergeist Gottes eine lebendige Seele. (1.Mose 2,7) Wir haben uns von einem griechisch-philosophischen Verständnis einer unsterblichen Seele abgegrenzt, aber kein biblisches Verständnis von Seele gelehrt. Das macht Christen stumm gegenüber den Behauptungen des Naturalismus und der humanistischen Psychologie.
Zweitens: In der Weltanschauung der „abgeschlossenen Diesseitigkeit“ und des „selbstgenügsamen Humanismus“ (Charles Taylor), ist kein Raum für Himmel und Hölle. Die Hölle ist auch den Christen heute peinlich und der Himmel so blass und blutleer, dass niemand wirklich dahin will. Lieber nochmal Urlaub auf Mallorca. Willard zeigt, wie wesentlich die „Königsherrschaft der Himmel“ im Evangelium ist. Die Teilhabe an den unseren körperlichen Sinnen (noch) nicht zugänglichen Himmeln bestimmt aber unser Leben im „Reich Gottes Mitten Unter Uns“ schon heute (Kapitel 3: Unsere in Gott eingetauchte Welt: Was Jesus uns über den Kosmos lehrt, S.123ff), aber auch unsere Hoffnung auf die zukünftige neue Welt Gottes. (Kapitel 10: Die Wiederherstellung aller Dinge: Worauf wir hoffen dürfen, S.629ff)
Eine Lesefrucht möchte ich aus aktuellem Grund hier anbieten:
Den Sünder lieben, die Sünde hassen?
Willard schreibt: „Es ist interessant und wichtig zu beobachten, dass heute der alte Satz, man solle ‚die Sünde hassen und den Sünder lieben‘ nicht mehr akzeptiert wird. Wenn jemand das, was ich tue oder wie ich es tue, missbilligt, wird heute generell davon ausgegangen, dass er mich selbst damit verurteilt und ablehnt. Das ist ein weiterer Beweis für die verheerenden Auswirkungen, die in unserer Kultur entstanden sind, weil uns der Gedanke des Ichs als spirituelles Wesen, das nicht nur eine innere Substanz hat, sondern eine solche ist, abhandengekommen ist. ‚Ich bin, was ich tue‘, so denkt man, ‚wie kannst du dann sagen, dass du meine Handlungen zwar missbilligst, mich aber liebst?‘
Doch diese Haltung kann natürlich auch als manipulatives Mittel von mir eingesetzt werden, damit der andere alles, was ich tue, billigt. Dann kann ich vielleicht ohne Vorwürfe meine souveräne Freiheit genießen – die uns Amerikanern ja so wichtig ist -, und genau das tun, was ich will. Oder zumindest kann ich dem anderen heftige Vorwürfe machen, weil er versucht, ‚mir seine Vorstellungen aufzudrängen‘. Nur wenige Menschen trauen sich heute, dieser Manipulation im öffentlichen oder privaten Diskurs standzuhalten und zugleich mit Gelassenheit ihren eigenen Sinn für die Wahrheit und die Realität beizubehalten. Besser gar nicht nachdenken oder zumindest still sein. (S. 388)
Ulrich Parzany
Dallas Willard (1935 – 2013) war ein US-amerikanischer Hochschullehrer für Philosophie an der University of Southern California, geistlicher Schriftsteller und evangelikaler Vordenker.
Dallas Willard, GOTT – Du musst es selbst erleben. Fontis 2022, 719 Seiten, 29,50 Euro
https://www.fontis-shop.de/products/gott-du-musst-es-selbst-erleben
Bildrechte des Fotos von Dallas Willard: Loren Kerns from USA, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons