Dekalog: Das Erste Gebot
Dr. Christian Schwark erklärt in dieser Artikelserie die 10 Gebote (nach reformierter Zählung). Diese Artikel sind bereits bei idea erschienen.
Der Artikel wird von einer Video-Predigt von Pfarrer Schwark ergänzt.
Alle Texte dieser Serie können auch als Hardcover Buch im Lichtzeichenverlag bestellt werden.
Das erste Gebot: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir (2. Mose 20,2+3)
In Traugesprächen ist es mir wichtig, nicht nur über Formalien zu sprechen. Also nicht nur darüber, wer mit wem einzieht, wann die Kirche geschmückt werden kann und wie die Musik gestaltet werden soll. Viel wichtiger ist das, was vor Gott geschieht: das Trauversprechen. Also sprechen wir im Traugespräch darüber, was dieses Versprechen bedeutet. Da steht z.B. drin, dass die Partner sich versprechen, ihre Ehe nach Gottes Gebot zu führen. Ich frage dann gelegentlich: Und? Können sie sich noch an Gebote Gottes erinnern? Den meisten fallen dann die zehn Gebote ein. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht stehlen. Und natürlich: Du sollst nicht ehebrechen. Das sind alles wichtige Gebote. Auffällig dabei ist: Fast allen Traupaaren fallen nur die Gebote ein, die mit den Mitmenschen zu tun haben. Die bleiben offensichtlich hängen. Viel unbekannter sind dagegen die Gebote, die mit dem Verhältnis zu Gott zu tun haben: die ersten vier Gebote (nach reformierter Zählung). Darum ist es gut, sich mit diesen vier Geboten neu zu beschäftigen.
Beginnen wir mit dem ersten Gebot. Es beginnt nicht mit der Aufforderung „Du sollst“. Sondern es beginnt damit, dass Gott sich vorstellt. Die Vorstellung beginnt mit den Worten: „Ich bin“. Schon diese zwei Worte sind etwas Besonderes. Warum? Zunächst sagt Gott „Ich“. Das heißt: Er ist eine Person. Und Gott hat einen Namen. Wenn wir uns vorstellen, sagen wir unseren Namen. So macht das auch Gott. Und wie ist der Name Gottes? In unseren Bibeln steht mit Großbuchstaben: HERR. Im Hebräischen steht da der Name Jahwe. Das heißt so viel wie: Ich bin da. In der jüdischen Auslegung steht der Namen Jahwe für die Quelle des Lebens. Und für Christen hat Gott noch einen besonderen Namen: den Namen Jesus. Nur in seinem Namen werden wir selig, sagt Petrus in der Apostelgeschichte. Auch Jesus stellt sich übrigens mit der Formulierung „Ich bin“ vor. Siebenmal im Johannesevangelium. Z.B. sagt er da: Ich bin der gute Hirte, der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe (Johannes 10,11). Das ist also Gott. Ein persönliches Gegenüber, eine Person, die sich mit Namen vorstellt. Er ist nicht ein Prinzip. Er ist mehr als ein Gefühl. Mehr als eine unbestimmte Macht. So wie viele sagen: „Da muss doch noch irgendetwas sein.“ Oder wie bei Star Wars: Möge die Macht mit dir sein. Nein, Gott ist eine Person. Einer, der mit mir redet. Und mit dem ich reden kann. Das ist etwas ganz Besonderes. Paulus schreibt an die Korinther: Als ihr Heiden wart, zog es euch mit Macht zu den stummen Götzen (1. Korinther 12,2).
Blaise Pascal (1623-1662) war ein bekannter Physiker und Mathematiker. Er hat eine Rechenmaschine entwickelt und die Wahrscheinlichkeitsrechnung erfunden. Er war ein Gottsucher und ein Philosoph. Schon mit unter 20 Jahren hatte er so starke Kopfschmerzen, dass er kaum mehr einen klaren Gedanken fassen konnte. Später konnte er nur noch an Krücken gehen, weil der ganze Körper von der Hüfte ab gelähmt war. Und als er mit 39 Jahren starb, fand man in seinen Kittel eingenäht über seinem Herzen die Sätze: „Heiliger Gott, Gewissheit, Freude, ich habe dich gefunden, nicht der Philosophen Gott, sondern nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, kann man dich finden.“ Und dann sagt er: „Alles nur in Jesus. In Jesus naht mir Gott, da kann ich seine Güte fassen. Und das ist mein Lebensziel, alles unter Jesus zu unterwerfen, alles ihm unter die Herrschaft geben. Weil ich ihn kenne, und von ihm weiß, dort, wo er in Jesus zu mir kommt.“ Soweit Blaise Pascal. Das war die Erkenntnis eines großen Geistes, eines Forschers.
Die Vorstellung Gottes geht weiter: „Ich bin dein Gott“, sagt er dann. „Dein Gott“, nicht nur einfach „Gott“. Das bedeutet: Gott will mit uns eine persönliche Beziehung haben. Er will für Sie, für dich, für mich da sein. Auch das ist etwas ganz Besonderes. Bei Gott sind wir nicht einfach ein Kollektiv. Keine anonyme Masse. Keine Nummer. Nein, er will für jeden von uns ganz persönlich da sein. Er kennt uns. Er kennt Sie. Er weiß, wie es Ihnen geht. Was Sie heute Morgen als erstes gedacht haben. Was Ihnen Angst macht. Was Sie freut. Und immer sagt er: „Ich will dir ganz nahe sein. Ich will dir helfen. Ich will dein Gott sein.“
Was das bedeutet, sehen wir an dem, wie es weitergeht: „…der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“ Gott erinnert sein Volk an das, was er schon getan hat. Wie er sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Wir sehen: Gott fordert nicht zuerst etwas. Sondern Gott schenkt zuerst etwas. Er schenkt Freiheit. Und in dieser Freiheit können wir dann auch seinen Willen tun. Wir haben nicht das Problem der Sklaverei in Ägypten. Wir leben in einem freien Land. Gott sei Dank, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber auch wir sind oft gebunden. Gebunden an Gedanken, die uns innerlich unfrei machen. Gebunden an Verhaltensweisen, mit denen wir uns und anderen schaden. Letztlich sind wir gebunden an die Schuld, an die Sünde. Und an die Folge der Sünde: den Tod. Auch da macht Gott frei. Durch Jesus sagt er seinen Leuten zu: „Ich habe dich befreit durch meinen Tod am Kreuz. Ich habe dich befreit von der Sklaverei der Knechtschaft der Sünde und des Todes. Das darfst du glauben. Das darfst du annehmen.“ In dieser Freiheit können wir heute leben. Nach Gottes Willen, nach seinen Geboten leben. Auch für uns kommt der Zuspruch Gottes vor seinem Anspruch. Diesen Zuspruch haben wir nur in der Bibel. Nur bei Jesus. Bei allen anderen Gottesvorstellungen ist das anders. Da kommt zuerst der Anspruch. Da heißt es: Du musst diese oder jene Regeln einhalten. Du musst bestimmte Regeln einhalten, du musst opfern, du musst meditieren oder was auch immer. Das Prinzip ist immer das Gleiche: Der Mensch muss sich erst Gottes Liebe verdienen. Ganz anders bei Gott in der Bibel, ganz anders bei Jesus. Er schenkt uns alles. Sogar die Freiheit vom Tod.
Wir sehen: Gott behauptet nicht nur, der einzige Gott zu sein. Er ist wirklich einzigartig. Er unterscheidet sich wirklich von allen anderen Gottesvorstellungen. „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, sagt Gott. Es soll also keine Konkurrenz zu Gott geben. Übrigens kann man den Ausdruck „andere Götter“ auch mit „fremde Götter“ übersetzen. Andere Götter bleiben uns also letztlich fremd. Zu ihnen können wir eben keine persönliche Beziehung haben wie zu dem biblischen Gott. Götter gab es damals viele. Es gab Himmelsgötter, Sterne die verehrt wurden. Es gab Ortsgötter, bei denen man dachte, dass sie einen bestimmten Ort bestimmen. Und es gab Funktionsgötter, wie z.B. Götter der Liebe und der Fruchtbarkeit. Auch heute haben wir viele Konkurrenzangebote zu dem biblischen Gott, der sich in Jesus zeigt. Das sind zum einen die Götter, die auch Gott genannt werden. Allah im Islam zum Beispiel. Oder buddhistische und hinduistische Gottesvorstellungen. Die sind allerdings sehr unkonkret. Manche sagen auch, Gott ist eigentlich in allem: „In jedem Baum, in jeder Blume ist Gott.“ Und dann gibt es noch den Wettergott, den Fußballgott usw. Heute ist es modern zu sagen: „Es ist doch egal, was einer glaubt, Hauptsache man glaubt irgendetwas. Es kann sich doch jeder Gott vorstellen, wie er will.“ Was sagt Gott dazu? Ganz eindeutig: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Übrigens kann der Ausdruck „neben mir“ auch heißen: „mir zum Trotz“. Wenn wir andere Götter haben, ist das also sozusagen eine Beleidigung Gottes. Warum ist Gott hier so streng? Kann er nicht ein bisschen toleranter sein? Wir sahen, dass Gott ein persönliches Gegenüber ist. Und dass er seine Leute frei macht. Andere Götter sind anders. Sie können nicht frei machen. Sie führen immer in die Unfreiheit. Oder in die Angst. Weil man nie weiß: Habe ich jetzt genug getan? Darum ist es gut für uns, dass Gott sagt: keine anderen Götter. Vergleichen wir das mit Eltern, die ihr Kind liebhaben. Stellen wir uns vor, das Kind würde sagen: „Ich möchte verschiedene Eltern haben.“ Heute mal die eigenen Eltern, morgen die Nachbarn und übermorgen vielleicht Donald Duck. Was würden die Eltern dazu sagen. Die würden das sicher gar nicht ernst nehmen. Aber wenn das Kind darauf besteht, würden sie sagen: „Das geht gar nicht!“ Warum würden sie das sagen? Nicht, weil sie dem Kind etwas antun wollen. Sondern weil sie wissen: Nur sie können dem Kind die Liebe und die Geborgenheit schenken, die es braucht. Und so möchte auch Gott der einzige Gott sein, weil nur er uns das geben kann, was wir brauchen. Durch Jesus. Nur er schenkt Vergebung und ewiges Leben.
Es gibt noch andere Götter, die Gott Konkurrenz machen: Das sind Götter, die nicht Götter genannt werden. Die aber genauso wirken wie Götter. Was meine ich damit? Luther hat einmal geschrieben: „Einen Gott haben heißt: etwas haben, worauf das Herz gänzlich trauet. Woran du nun dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“ (Erklärung zum ersten Gebot im Großen Katechismus) Die Frage ist also: Worauf vertraue ich in meinem Leben am meisten? Was gibt mir Sicherheit? Was macht mir am meisten Freude? Das ist eigentlich mein Gott. Ob ich das zugebe oder nicht. Entscheidend ist: Was ist mir in meinem Herzen am Wichtigsten? Mancher vergöttert z.B. Menschen. In Deutschland haben wir damit in der Geschichte schlechte Erfahrungen gemacht. Mancher vergöttert auch seine Kinder, seinen Partner oder sonst jemanden. Und überfordert den anderen damit. Das kann einer Beziehung nicht gut tun. Ein sehr verbreiteter Gott ist auch das Geld. Auch dazu noch einmal Luther: „Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heißt Mammon, das ist Geld und Gut, woran er sein ganzes Herz hängt; und das ist der am weitesten verbreitete Abgott auf Erden. Wer Geld und Gut hat, der wähnt sich sicher, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies; und wiederum, wer keins hat, der zweifelt und verzagt, als wisse er von keinem Gott; es klebt und hängt der Natur an bis ins Grab.“ Soweit Luther. Das ist also auch ein großer Konkurrenzgott: das Geld. Dass ich mich sicher fühle, wenn ich Geld habe. Und unsicher, wenn ich meine zu wenig zu haben. Es gibt auch noch andere Götter. Haus und Garten. Internet. Sex. Oder auch das Auto. Des deutschen liebstes Kind, wie es heißt: Der Liedermacher Manfred Siebald hat dazu ein Lied geschrieben. Da heißt es: „Wenn der Samstagmittag kam, griff er Eimer, Wasser, Schwamm, um den Autodienst voll Andacht zu verrichten. Fiel vorm Kühler auf die Knie, und zur Radioliturgie widmete mit ganzer Kraft er dann sich seinen hohen Pflichten.“
Wir sehen: Gott hat auch heute Konkurrenz. Ob die anderen Götter nun Götter heißen oder nicht. Das Angebot ist vielfältig. Und Gottes Gebot ist eindeutig: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Da brauchen wir Mut. Mut, auch gegen den Strom zu schwimmen. Gegen den Strom in der Gesellschaft. Manchmal auch gegen den Strom in der Kirche. Und daran festzuhalten: Jesus ist der einzige, der unser Vertrauen verdient. Kein anderer Gott. Und da wo der Glaube an ihn mit anderen Gottesvorstellungen vermischt wird, da machen wir nicht mit. Zum Beispiel können wir uns nicht an „interreligiösen“ Gebeten beteiligen. Sonst verabschieden wir uns von dem Gott der Bibel. Wir sagen das nicht, weil wir immer recht haben. Und schon gar nicht, weil wir besser sind als andere. Sondern weil Gottes Gebot an dieser Stelle ganz eindeutig ist. Und weil es immer schadet, wenn wir sein Gebot nicht ernst nehmen. Viel besser ist, immer neu seinen Zuspruch zu hören: „Ich bin der Herr, dein Gott.“ Ist er auch unser Gott?