„Sollte Gott gesagt haben …?“

 

Pfarrer Dr. Tobias Eißler, Ostfildern bei Stuttgart, ist Vorsitzender der Pfarrer-Arbeitsgemeinschaft „Confessio Württemberg“. Zu ihr gehören 93 württembergische Pfarrer. Dr. Eißler gehört auch zur Leitung des Netzwerks Bibel und Bekenntnis. Wir veröffentlichen den folgenden Artikel mit freundlicher Genehmigung des Nachrichtenmagazins idea, wo er am 29.1.2018 als Kommentar veröffentlicht wurde.

Ende November 2017 hatte die Synode der württembergischen Landeskirche entschieden, eine öffentliche Segnung gleichgeschlechtlicher Partner nicht einzuführen. Daraufhin forderten 40 der 50 württembergischen Dekane eine Erlaubnis, sie segnen zu dürfen. 50 Pfarrer kündigten schriftlich an, dass sie auf Wunsch eine entsprechende Handlung durchführen werden. Zu der Debatte ein Kommentar von Pfarrer Tobias Eißler (Ostfildern bei Stuttgart).

Ende November 2017 hat die württembergische Synode über das „Kirchliche Gesetz zur Einführung einer Ordnung der Amtshandlung anlässlich der bürgerlichen Eheschließung zwischen zwei Personen gleichen Geschlechtes“ abgestimmt. Die für dieses Gesetz erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde knapp verfehlt. Die sogenannte „Homosegnung“ hätte nicht weniger bedeutet als einen Bruch mit 2.000 Jahren Christentum und 4.000 Jahren Judentum im Verständnis dessen, was Ehe ist und was Gott segnet. Die dokumentierten Voten aus der Synode zeigen, dass eine Mehrheit diesen Bruch für richtig hielte. Darüber kann man aus der Sicht einer biblisch-reformatorischen Theologie nur erschrecken.

  1. Unklare Bibel?

Die Synode sei sich nicht einig, wie die Heilige Schrift zur Frage der öffentlichen Segnung stünde, äußerte ein Vertreter des Oberkirchenrats. Schon der Ansatz der Frage verschleiert die eigentliche Frage, die im Raum steht: Gibt die Heilige Schrift eine klare Auskunft darüber, wie Gottes Wort praktizierte Homosexualität bewertet? Auch die entschiedensten Befürworter der Homosegnung kommen an den biblischen Verwerfungen der praktizierten Homosexualität nicht vorbei. Die grundsätzliche Auskunft des Apostels Paulus in Römer 1,26f. lautet, dass ein derartiger Verkehr der Geschlechter aus der Verkennung des Schöpfers folgt und eine Verkehrung des Natürlichen, Vernünftigen, Anständigen und Gesunden ist. Die fehlgeleitete Orientierung auf dasselbe Geschlecht hin steht unter dem Zorn und Gericht Gottes (Römer 2,5.8).

Die Idee, das zu segnen, was Gott als Sünde definiert und mit Ungnade bedroht, stellt die Auskunft des Apostels auf den Kopf. Die Idee trägt selbst die Signatur der Verkehrung an sich. Sie erinnert an die Frage der Schlange im Paradies: „Sollte Gott gesagt haben …?“ Ein Redebeitrag in der Synode unterschied zwischen der Position, die den historischen und gesellschaftlichen Kontext der Bibel beachtet, und der anderen Position, die bleibende Gültigkeit behauptet. Doch gerade der Blick auf den Kontext, nämlich die Offenheit der griechisch-römischen Gesellschaft für das Gleichgeschlechtliche, zeigt das Anstößige und Spezifische der jüdisch-christlichen Haltung. Die Evangelisierung des Mittelmeerraumes bringt eine Art von Kulturrevolution zuwege mit dem Ergebnis, dass man das Schöpfungsgemäße achtet und das biologisch Sinnlose ächtet. Die biblische Wertung ist alles andere als eine Anpassung an den Kontext. Ihr durchgängiges „Nein“ lässt sich nicht in ein „Ja“ umbiegen.

  1. Unklares Bekenntnis?

Die Synode sei sich nicht einig, wie die reformatorischen Bekenntnisschriften zur verhandelten Frage stünde, hieß es im bereits oben angeführten Votum. Nun war die Frage der Homosexualität zwischen der römisch-katholischen Kirche und den Reformatoren nicht strittig. Bis heute hat ein lehrmäßiger globaler, ökumenischer „magnus consensus“ (großer Konsens) Bestand, angesichts dessen die Versuche, Homosexualität zu rechtfertigen, faktisch schismatisch und sektiererisch wirken. Einschlägige Äußerungen Luthers lassen keinen Zweifel daran, dass er diesem christlichen Konsens folgt. Das Ansinnen der Männer aus Sodom, sich über einen fremden Mann herzumachen (1. Mose 19,5), bezeichnet er als „widernatürlich“ und „Verkehrtheit“. Im Traubüchlein, das zu den Bekenntnisschriften zählt, beschreibt der Reformator die Ehe als einen weltlichen Stand nach Gottes Wort, d. h. eine für jedermann verbindliche Lebensordnung Gottes. Das bringen die vorgeschlagenen Schriftlesungen (1. Mose 2,18; 2,21-24; Epheser 5,22-29) deutlich zum Ausdruck. Sie lassen keinen Raum für die dem biblischen Denken fremde Vorstellung, eine Ehe könnte durch zwei Männer oder zwei Frauen gebildet werden. So kommt das evangelische Schriftprinzip zur Geltung, die unbedingte Vorrangstellung des Wortes Gottes. Eine evangelische Theologie, die gegen Schrift und Bekenntnis votiert, ist nicht mehr evangelische Theologie im reformatorischen Sinne.

  1. Wer definiert, was Sünde ist?

Die Synode war sich dessen bewusst, dass eine Kirche nicht einfach irgendeine Neuerung einführen kann, sondern dass alles Neue verfassungskonform sein muss. Das heißt: Es muss mit der Bindung an Schrift und Bekenntnis übereinstimmen. Die Kontinuität zum originalen Evangelium und damit zum echten Christentum muss nachgewiesen werden können. Die Diskussion erweckte den Eindruck, dass man zwar um diese notwendige Prüfung weiß, aber bei der Beschäftigung mit Texten das Bewusstsein dafür verloren hat, dass es um die Offenbarung des lebendigen Gottes geht, vor dem sich die Kirche zu verantworten hat. Ist sich das kirchenleitende Gremium bewusst, dass es dem lebendigen Gott gegenübersteht und absolut untersteht?

Nimmt man ernst, dass dieser Gott seine Abscheu über die Verkehrung der Mann-Frau-Beziehung erklärt hat? Ist man sich darüber im Klaren, dass Gott allein definiert, was Sünde ist, und niemals der sündige Mensch? Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür, dass Gott im Laufe der Zeit seine Ansichten über die Gebote, wie von Jesus und den Aposteln abschließend gelehrt – vor allem auch im Römerbrief Kapitel 1 –, geändert habe? Auf welche neue Offenbarung oder welches Recht will sich das Kirchenvolk berufen, die Anordnung des Herrn der Kirche eigenmächtig abzuändern und neu zu definieren, was plötzlich gut sein soll in Gottes Augen? Die Rechtfertigung der Sünde ist die Spitzenleistung der Rebellion gegen Gottes Majestät und Heiligkeit. Sie bringt die Gefahr mit sich, aus Gottes Reich ausgeschlossen zu werden und dem Gericht Gottes zu verfallen (1. Korinther 6,9f; Römer 1,32).

  1. Eine öffentliche Segnung ist keine Trauung?

Der Oberkirchenrat erklärte die Absicht, die Amtshandlung an einem gleichgeschlechtlichen Paar von der Trauung von Eheleuten zu unterscheiden. Doch die evangelische Trauung ist nichts anderes als eine öffentliche Segnung eines Paares, das nach bürgerlichem Recht die Ehe geschlossen hat. Deshalb gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zu einer öffentlichen Segnung eines Homopaares. Die intendierte Unterscheidung kann nur eine künstliche, äußerliche sein, die in der Öffentlichkeit weder wahrgenommen noch verstanden werden wird.

  1. Einigung durch Durchsetzung der Irrlehre?

Landesbischof Frank Otfried July wurde folgendermaßen zitiert: „Mein Einigungswerk im Umgang mit gleichgeschlechtlichen Paaren ist noch längst nicht getan.“ Der Bischof versteht die Abstimmungsmehrheit der Synode offensichtlich als Auftrag, in der Sache öffentlicher Segnung von Homopaaren weiter aktiv zu bleiben. Damit wird das Votum der Synode gegen die Einführung einer entsprechenden Amtshandlung und Agende nicht wirklich ernst genommen. Der leitende Repräsentant der Kirche zeigt sich unverhüllt parteiisch. Er geht davon aus, dass die Gruppe, die sich gegen eine in 2.000 Jahren Kirchengeschichte einzigartige, grundstürzende Neuerung ausspricht, die nicht konsensfähige Segnung im Sinne des Zeitgeistes irgendwann einfach akzeptieren muss.

Die Durchsetzung einer Segnung, die nach einer Segnung der sündigen Lebensform aussieht, wird als Dienst an der Einheit der Kirche verkauft. Die Einheit der Kirche ist aber eine Einheit in der Wahrheit. Der Zerbruch der gemeinsamen Lehrbasis, die von Jesus und den Aposteln gelegt ist und die nicht geändert werden kann, führt auch zu einem inneren Zerbrechen der Kirche. Deshalb fordern die Apostel die Distanzierung von Irrlehre und die Trennung von Irrlehrern. Wer das lehrmäßig Verkehrte und Scheinchristliche nicht mehr erkennt und fernhält, sondern rechtfertigt und integriert, betreibt die Destruktion der Kirche.

  1. Nur Segnung ist angemessene Seelsorge?

Die Einführung einer Segnung für gleichgeschlechtliche Lebenspartner wird vom seelsorgerlichen Auftrag her begründet. Seelsorge versteht man demnach so, dass die Kirche auf die Bitte um Segnung mit der Einführung einer entsprechenden Amtshandlung antwortet. Doch Seelsorge besteht nach neutestamentlichem Verständnis nicht einfach darin, wahllos Segen zuzusprechen und jeden Wunsch nach religiöser Begleitung zu erfüllen. Die Menschen, die Jesus begegneten, begegneten der Menschenfreundlichkeit und Liebe Gottes in Person, konkret: der Heilung, der Hilfe, dem Zuspruch. Gleichzeitig aber wurden sie mit dem Anspruch Gottes konfrontiert, die Gebote ernst zu nehmen, von der Sünde zu lassen und in das neue Leben der Christusnachfolge aufzubrechen. Diese Konfrontation führte immer wieder zu Unmut und zur Trennung von Jesus, z. B. im Fall des reichen Jünglings. Eine Seelsorge nach diesem Vorbild spricht die Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu, die zu Sündenerkenntnis, Umkehr und Lebenserneuerung führt.

Für den Menschen mit gleichgeschlechtlicher Neigung bedeutet das, dass er als Mensch Annahme und Bestätigung erfahren darf, aber seine Lebenspraxis nicht als Schöpfungsvariante, Schicksal und Handlungszwang deuten und rechtfertigen darf. „Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht“, erklärt Jesus. „Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei“ (Johahnnes 8,34.36). Weil die Befreiung zum Lebensweg mit Gott bei gleichzeitiger bleibender gleichgeschlechtlicher Neigung oft ein schwieriger, langwieriger Prozess ist, wie es biblisch orientierte Seelsorger mitteilen, sind umso mehr verstärkte Bemühungen um entsprechende Schulungen und Formen der Begleitung nötig.

Das ändert aber nichts daran, dass Seelsorge nicht dazu ermächtigt ist, Gottes Gebot und Willen zu ermäßigen und abzuändern. Vielmehr fordern die Apostel in Übereinstimmung mit Jesus, dass sich die Gemeinde vom uneinsichtigen Sünder trennen muss, bevor der Sünder die Gemeinde zur Akzeptanz zwingt und umprägt. Allerdings ist dies eine allerletzte Konsequenz. Zuvor sind Christen aufgerufen, einen geduldigen, geschwisterlichen, barmherzigen Weg der Mahnung und der Hilfe mit dem Menschen auf Abwegen zu gehen. An dieser Stelle hat sicher jede heutige Gemeinde Nachholbedarf.